Bulgariens neuer Präsident vereidigt

Petar Stojanow greift die Exkommunisten an und fordert einen Gesellschaftsvertrag zwischen Regierung und Regierten. Das Fernsehen zeigt Videos vom Sturm auf das Parlament  ■ Aus Sofia Barbara Oertel

So hatte sich Bulgariens neuer Staatspräsident, Petar Stojanow, seine Vereidigung nicht vorgestellt. Gestern vormittag glich das bulgarische Parlament, in unmittelbarer Nähe der Alexander- Newski-Kathedrale, wo sich seit 12 Tagen allabendlich Demonstranten einfinden, eher einem Hochsicherheitstrakt, denn dem Gebäude freigewählter Volksvertreter. Tags zuvor hatte Stojanow an die Anhänger der Opposition appelliert, dem Zentrum am nächsten Vormittag fernzubleiben.

Mit versteinerten Mienen folgten die Abgeordneten der Sozialistischen Partei (BSP) den Ausführungen des Präsidenten. Und der sparte nicht mit eindeutigen Hieben gegen die Exkommunisten. „Jeder kann Fehler begehen. Aber das hartnäckige Festhalten an Fehlentscheidungen ist ein Charakteristikum verantwortungsloser Politik.“ Grund für die Armut, die die Leute jetzt auf die Straße treibe, seien die Scheinreformen der letzten Jahre, Korruption und die Vernachlässigung der öffentlichen Meinung. „Wir können nicht ignorieren, was um uns herum vorgeht, und nicht mehr Entscheidungen nur innerhalb der politischen Elite treffen. Was wir brauchen, ist ein Gesellschaftsvertrag zwischen Regierenden und Regierten“, sagte Stojanow. Dazu bedürfe es eines breiten Konsenses aller maßgeblichen politischen Kräfte.

Doch wo dieser Konsens herkommen soll, weiß niemand. Die Tatsache, daß sich weder ein BSB- Vertreter zum Rednerpult bequemte noch die Nationalhymne gespielt wurde, kommentierte ein Abgeordneter der Union der Demokratischen Kräfte (SDS) so: „Von einem Dialog kann keine Rede mehr sein. Wir stehen vor einer Wand von Unverständnis.“

Am Sonnabend zeigte der erste Kanal des bulgarischen Fernsehens zum ersten Mal Amateurvideos vom Sturm auf das Parlament in der Nacht zum 11. Januar. Die Aufnahmen, die das Fernsehen eine Woche lang nicht senden wollte, zeigen deutlich, wie Polizisten Studenten ohne erkennbaren Grund zusammenschlagen. Der Fernsehjournalist Sascho Dikow wartete mit einer weiteren Neuigkeit auf: Er verfüge über Aufnahmen, die beweisen, daß die Polizeikräfte die Absperrungen selbst geöffnet und so den Angriff auf das Parlament ermöglicht hätten. Jetzt gäbe es viele Fragen an Innenminister Nikolai Dobrew, sagte Dikow.

Die haben die Sozialisten offenbar nicht. In der gleichen Sendung wiederholte der Vorsitzende der BSP, Georgi Parwanow, gebetsmühlenartig, daß seine Fraktion bis zu den Neuwahlen an Dobrew als Nachfolger des zurückgetretenen Regierungschefs festhalte. Zu den Massenprotesten sagte er: „Das, was vor dem Parlament und der Alexander-Newski-Kathedrale passiert, ist nicht ganz Bulgarien. Ich würde in den Nachrichten gern einmal etwas über die Großveranstaltungen von Anhängern der Sozialisten, wie sie in verschiedenen Städten stattfinden, sehen.“