Schienenbau am Parlament vorbei

Statt Abstimmung nur ein verspäteter Bericht an den Bundestag: Wie das Verkehrsministerium sich nur an die angenehmen Seiten eines Gesetzes hält. Naturschutz hat das Nachsehen  ■ Aus München Felix Berth

Auf den ersten Blick ist das „Bundesschienenwegeausbaugesetz“ für Matthias Wissmann (CDU) eine komfortable Sache. Es legt fest, welche Bahnstrecken in der Bundesrepublik neu gebaut werden. Gleichzeitig verfügt es, daß diese Strecken von Klägern kaum noch in Gerichtsverfahren angezweifelt oder gestoppt werden können. Eines der berüchtigten Beschleunigungsgesetze also.

Die Wirkung des Gesetzes konnte man vor ein paar Tagen bei einer Verhandlung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes beobachten. Eine Klage des Bund Naturschutz gegen die etwa zehn Milliarden Mark teure und überflüssige ICE-Strecke von München über Ingolstadt nach Nürnberg wurde von den Richtern zurückgewiesen, weil sie im „Bundesschienenwegeausbaugesetz“ festgeschrieben ist. Ob die billigere Variante über Augsburg die bessere sei, interessiere im Gerichtsverfahren nicht mehr, erklärten die bayerischen Richter. Wissmanns Ministerium konnte einen kleinen Sieg melden (taz vom 11.1.).

Doch unter den Paragraphen aus dem Jahr 1993 finden sich auch Klauseln, die dem Bundesverkehrsminister unangenehm sind. Zum einen muß Wissmann drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes das Parlament noch einmal über alle Projekte abstimmen lassen – 1996 wäre dies fällig gewesen. Zum anderen muß Wissmann alljährlich einen Bericht vorlegen, wie weit er beim Ausbau der Bahn gekommen ist. Und schließlich verpflichtet das Gesetz den Bundesverkehrsminister dazu, zwanzig Prozent der Ausbau-Milliarden in den öffentlichen Nahverkehr zu stecken.

Doch diese drei Paragraphen nimmt das Bonner Verkehrsministerium nur ungern zur Kenntnis. Am 8. Januar 1997 schrieb Staatssekretär Manfred Carstens an Dionys Jobst (CSU), den Vorsitzenden des Bundestags-Verkehrsausschusses, er halte eine neue Abstimmung im Bundestag nicht für notwendig. Es sei ausreichend, dem Parlament im März 1997 einen Bericht zuzuleiten. Das wäre immerhin der erste: Seit 1993 lieferte das Ministerium keinen Rapport ab, obwohl laut Gesetz drei davon nötig gewesen wären.

Weil man davon ausgehen kann, daß Wissmann und seine Mitarbeiter den Gesetzestext kennen, stellt sich die Frage, wie eine solche Dreistigkeit zu erklären ist. Offensichtlich will Wissmanns Haus mit diesem Gesetzesbruch unbequeme Debatten vermeiden – zum Beispiel darüber, ob wirklich zwanzig Prozent aller Mittel für den Streckenbau in den Nahverkehr gesteckt wurden, wie 1993 versprochen und festgelegt. Der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Ali Schmidt zum Beispiel kommt in seinen Kontrollrechnungen nur auf einen Betrag von sechs Prozent der Investitionen, die in Wirklichkeit im Nahverkehr angekommen sind – was bedeutet, daß eines der Versprechen der Bahnreform uneingelöst blieb. Die hatte unter anderem die Zuständigkeit für den Nahverkehr von der Bundesbahn zu den Ländern verschoben.

Ähnlich unerwünscht ist wohl eine neue Streckendiskussion im Bundestag, die 1997 angesichts leerer Kassen vermutlich ein anderes Ergebnis hätte als bei der Verabschiedung des Gesetzes 1993. Offensichtlich bremsen Wissmanns Beamte lieber das Parlament aus und verstoßen damit gegen ein paar Paragraphen, als eine unangenehme Debatte zu beschleunigen.