Wenn Monster einen Grill bauen

■ Philip Kerr liest im Abaton aus seinem Computer- und Architektur-Thriller „Game Over“

Ray Richardson ist ein großes Arschloch vor dem Herrn. Anders kann man die egoistische, selbstherrliche und mitleidslose Art des Stararchitekten aus Los Angeles, mit der er Mitarbeiter schikaniert und Anspruch auf ihr gesamtes Leben zum Gelingen seiner Projekte erhebt, nicht auf einen Begriff bringen. Hätte er nicht soviel entwerferisches Genie, irgendeiner seiner hochbezahlten Sklaven hätte ihn wahrscheinlich längst in einem Anfall von Verzweiflung niedergemacht. So aber schützt die fachliche Anerkennung das menschlichen Monsters vor gerechtem Unbill.

Richardsons neuestes Projekt, das erst ein Kritiker und dann auch seine eigenen Mitarbeiter hinter vorgehaltener Hand den „Grill“ nennen, scheint die Erfüllung des alten Traums von Le Corbusier zu sein: ein Haus als Maschine. Ein superkomplexes und lernfähiges Computersystem steuert eine Haustechnik, die jedes Detail des Innenlebens erfaßt, analysiert und steuert. Selbst die Pinkelmasse in den Toiletten wird danach untersucht, ob einer der Mitarbeiter der chinesischen Yu Corporation, die hier einziehen will, Drogen zu sich genommen hat.

Doch bevor die totale Komfort-Überwachung übergeben wird, entdecken die Computerspezialisten einen kleinen Fehler im System: Abraham, so der Name der digitalen Allmacht, denkt! Und was der Computer denkt, ist alles andere als hilfswillig – genau genommen jagt und tötet er mit seiner perfekten Haustechnik die Crew des Architekturbüros, die gerade zur Schlußabnahme im Grill weilt, nachdem er das Haus vollständig abgeriegelt hat. Einer nach dem anderen tappt in eine tödliche Falle und wird auf bizarrste Weise eliminiert.

Philip Herrs Bestseller Game Over (Wunderlich Verlag), der wie ein Architektenkrimi beginnt, entpuppt sich schnell als eine spannende und schauerliche Parabel auf die Konsequenzen von Computer- und High-Tech-Religiosität. Die fehlende Ethik im Umgang mit den beherrschenden Möglichkeiten, die komplexe Computersysteme bieten, und die katastrophalen Folgen jener Fehler, die erst durch die Allmachtsphantasien ihrer Programmierer in diese Systeme implantiert werden, führt Kerr in apokalyptischer Manier vor. Das digitale, virtuelle System als handfester Mörder mit tödlicher Plansicherheit, dieser Alptraum erscheint am Ende der Lektüre nicht nur plausibel, sondern auch noch steigerungsfähig.

Die Leichtfertigkeit, mit der die totale Freiheit in die Nähe der totalen Kontrolle rückt, ermöglicht es winzigen Fehlern und Zufällen, aber ebenso bewußtem Mißbrauch, ganze System in ihr Gegenteil zu verkehren – und zwar schon weit bevor das System wirklich „denkt“.

Kerrs Roman, ein ungemein spannender Thriller, vermeidet zwar jede Moralitätssoße, aber die Parallele zum Turmbau von Babel und die Mahnung, der Mensch möge kein Abbild des Lebens schaffen, sind in der intelligenten Meuchelei äußerst plastisch ausgeformt. „Kenne deine Grenzen und respektiere sie!“ könnte das christlich angehauchte, wissenschaftskritische Credo von Game Over lauten.

Trotz diverser kleiner Ungereimtheiten, verlorener Nebenfäden der Geschichte und eines durchaus rassistisch karikierten Bildes von der chinesischen Kultur ist Game Over eine klug komponierte und unprätentiös erzählte Momentaufnahme der medialen Welt, die Computerapokalyptikern ebenso Spaß machen wird wie den Aposteln des globalen Dorfes.

Till Briegleb

Lesung „Game over“ mit Philip Kerr: Do, 23. Januar, 20 Uhr, Abaton