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Lebensprothesen

■ Geld spielt eine Rolle: Werner Schroeter inszenierte am Berliner Ensemble Chaplins "Monsieur Verdoux" als Revue

Andrea Breth, Johann Kresnik, Rosa von Praunheim – seltene Gäste waren am Sonntag ins Berliner Ensemble gekommen. Möglicherweise um nachzuschauen, ob es dieses Theater überhaupt noch gibt, ganz sicher aber wegen Werner Schroeter, der hier nach zweimaliger Premierenverschiebung endlich „Monsieur Verdoux“ herausbrachte. Nicht nach dem Film, wie er zuvor betont hatte, sondern nach dem Drehbuch zum Film von Charles Spencer Chaplin.

Weil aber die Kinofassung von 1947 in der Tat eine sehr bekannte ist, griff der 51jährige Film- und Theaterregisseur Schroeter zu einem unterstützenden Mittel der Distanzierung: Elfriede Jelinek, die schon das Drehbuch zu seinem Film „Malina“ (1990) nach Ingeborg Bachmanns Roman geschrieben hatte, notierte für das Programmheft Überlegungen zum „Monsieur Verdoux“-Film, wobei dieser rückstandslos in Literatur umgewandelt wurde. Aus der politisch-melancholischen Tragikomödie des ehemaligen Bankangestellten Verdoux, der sich auf seriellen Heiratsschwindel und Frauenmord verlegt, wird eine Erzählung von Geschlechterkampf als Movens einer sozialen Apokalypse mit politischer Symbolkraft.

„Es ist nicht die Tragik, daß dieser nette, kleine Mann zum Tode verurteilt und hingerichtet wird, während die Fleischwölfe in Europa schon anlaufen, sondern es ist ein profunderes Dunkel, eine mit Obszönitäten vollgekritzelte Vorgeschichts-Höhle des Weiblichen, eine Ahnung, daß nicht nur die Opfer weiblich waren, sondern daß man selber aus so einer Frau gekommen sein könnte und sogar eine für sich selber, eine echte Ehefrau samt Kind besessen hat, und alle alle sind vielleicht die Mutter Natur selbst oder stellen sie zumindest glaubhafter dar als der trockene Monsieur Verdoux es je könnte [...]“

Nun, im Berliner Ensemble ist von derart naturgegebenen Abgründen zwischen den Menschen nicht viel zu merken. Die Geschlechterrollen funktionieren in aller theatralen Koventionalität ganz ausgezeichnet, und daß Schroeter Zazie de Paris als wohlhabendes Damenopfer besetzte und Uwe Steinbruch in perfekter Hausfrauenmaske Madame Verdoux spielt, unterstreicht eher noch, daß es keineswegs die Angst vor magischen Naturkräften ist, die den Mann zum Wolf werden läßt. Denn umstandslos akzeptiert Martin Wuttke in der Rolle des Verdoux den schwellenden Busen der zur Frau gewandelten Zazie als weiblich und tätschelt ihren breiten Rücken – mordbereit zu zittern beginnt er erst, als er hört, daß sie ihre Barschaft von der Bank zu holen bereit ist. Frau ist, wer einen Rock trägt, und Opfer, wer vom Geld zu trennen ist. Verdoux' Frau bleibt daher verschont, nicht weil sie – anders als Zazie – in der Inszenierung eindeutig männlichen Geschlechts ist, sondern weil sie/er nur das besitzt, was Verdoux ihr gibt. Dieser Verdoux hat keine allgemein-männliche Angst vor Frauen, sondern eine ganz spezielle Angst vor allen Menschen. Weil aber Männer sein Wichteltum erkennen, während Frauen bereit sind, auf ihn ihre Sehnsucht zu projizieren, hält er sich an diese, um sich eine materielle Lebensprothese zu verschaffen.

Das alles spielt Martin Wuttke fraglos wundervoll. Mit rasiertem Kopf und angedeutetem Ziegenbart, mit Siegelring und nasaler Stimme, ist er der perfekte Zuhälter seiner selbst. Und hat durch all sein verschnupftes Gespreize, durch sein Getänzel und Hüftgewiege hindurch eine proletarisch- jungenhaftige Gefährlichkeit, die sich entlarvt, wenn er sich etwa mit irrem Grinsen gleich alle Finger ableckt, um das Geld zu zählen. Das füllt die erste Hälfte der über dreistündigen Inszenierung ganz von allein. Und das muß es auch.

In einem provisorisch geweißten Salon, von dem aus irgendwelchen Gründen einige weiß bespannte Stellagen von der Decke hängen (Bühne: Alberte Barsacq) befindet sich eine Art Pestsäule: pathetisch aufgeschichtete, teilweise umwickelte Kaffeehausstühle, die womöglich das „fabrikmäßige Wegräumen von Millionen Menschen“ symbolisieren sollen, von dem Jelinek in ihrem Verdoux-Text spricht. Darin nun hampeln eine Menge Figuren mit Defekten. Aufgezäumte, psychisch offenbar mehr als instabile Gestalten voller Zuckungen und Ruckungen geben etwa die Familie Couvais, deren Verwandte nach der Hochzeit mit Verdoux nicht mehr gesehen ward.

Darin aber auch Marianne Hoppe als Marie Groneille, um die Verdoux mit Inbrunst wirbt. Mit Grandezza und Selbstironie spielt sie mit der eigenen Textschwäche, fragt bei Gelegenheit: „Was sagten Sie?“ oder lacht überhaupt nur; das sind die lustigsten Momente des Abends.

Und natürlich Eva Mattes als Annabella! Der schwerste Brocken, mit dem Verdoux zu kämpfen hat. Ohnehin ist sie kaum bereit, das in der Lotterie gewonnene Geld mit dem angeblichen Gatten zu teilen, aber selbst an das Wenige kommt er nicht heran, da sie sich seinen Mordversuchen mit naiver Behendigkeit widersetzt. Wie Eva Mattes das macht, wie sie in flatterndem Gelb und üppiger Mädchenhaftigkeit als Wuchthummel betriebsamer Lüsternheit den dünnen Verdoux in Bedrängnis bringt, ist wirklich sehenswert.

So ist denn diese Inszenierung eigentlich mehr eine Nummernrevue als eine theatralische Vision zum Drehbuch zum Film. Daß Wuttke und Mattes machen, was sie ganz ausgezeichnet können, ist sicher auch Schroeters Verdienst. Alles andere aber läßt er fahren dahin. Viel Morgenstimmung, etwas Walzer und Mireille Matthieu, seltsam zerrissen das alles, geradezu laienhaft gar, wenn Anna Thalbach als armes (und später reiches) Mädchen mit Wuttke eine rührende Szene haben will.

Eine Arbeit, die sich eine feministische Fundierung besorgt hat, sie dann aber weder szenisch beantwortet noch stringent konterkariert und die ganz am Ende auch noch die Chuzpe hat, in der Gerichtssaalszene die sozialkritische Komponente zu verkitschen, ohne vorher wirklich davon erzählen. Das Schlußbild ist ein Gruppenfoto um den Verurteilten – eine Aufstellung wie sie Botho Strauß' „Schlußchor“ zu Beginn vorsieht. Dort ruft einer „Deutschland!“, alle stehen stramm, und das Stück beginnt. Hier fällt der Vorhang, den Rest muß man sich denken. Irgendwie dreist. Petra Kohse

„Monsieur Verdoux“ nach Chaplin. Regie: Werner Schroeter. Berliner Ensemble. Nächste Aufführungen: 23., 28., 29. 1.

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