Begraben, bekriegen, etc.
: Witwen-Bashing mit Methode

■ Brigitte Mayer hat einen Prozeß gegen die „Süddeutsche Zeitung“ gewonnen. Das deutsche Feuilleton wird sie deswegen wohl trotzdem nicht in Ruhe lassen

Am 16. Januar 1996 wurde Heiner Müller auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin beerdigt. Auf der Trauerfeier im Berliner Ensemble sagte Alexander Kluge einen Satz, der seitdem häufig zitiert wird: „Es ist ein Irrtum zu glauben, daß die Toten tot sind.“

Auf den Tag genau ein Jahr nach der Beerdigung fällte die Pressekammer des Landgerichts Berlin ein Urteil in Sachen Heiner Müller. Seine Witwe Brigitte Mayer hatte geklagt und bekam in erster Instanz recht. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) wurde zu einem Widerruf und der Zahlung eines Schmerzensgeldes von 20.000 Mark verurteilt.

Anlaß ist eine bitterböse Glosse, die der Theaterkritiker der Zeitung, C.Bernd Sucher, im August vergangenen Jahres veröffentlicht hat. Darin hatte der Autor zu dem Streit um Müllers Werkausgabe Stellung genommen. Gleichzeitig schüttete Sucher, der gerade ein Benimm- Buch veröffentlicht hat, seinen gesammelten Ärger über Brigitte Mayer aus und sparte auch nicht an grundsätzlichen Bemerkungen zum Thema „alleinerziehende Mütter“. „Seht, da steht die Witwe Müller als Erfüller eines letzten Willens, den es nicht gibt. Seltsam. Was will sie? Mehr Geld? Einen renommierten Verlag? Oder nur eine ABM-Stelle, jetzt, da sie Kind und Haushalt und die Tätigkeit als ,Gastphotographin‘ beim Berliner Ensemble nicht so recht auslasten?“

Heiner Müller ist tot, bereits ein Jahr begraben. Doch es ist ein Irrtum zu glauben, daß seine Witwe Witwe sein darf, weiterhin Mensch oder gar Künstlerin. Sie muß sich kollektiven Prügelritualen hingeben und den Hanswurst spielen in einem Kasperletheater, dem eine der Hauptfiguren weggestorben ist. Das sind die Spielregeln.

Eine gewisse Schonzeit war ihr geblieben. Das Feuilleton hatte sich an dem postmortalen Presse- Output zu Müller einen ganzen Winter lang berauscht und ansonsten stillgehalten. Bereits im Frühjahr letzten Jahres war die Trauer allerdings vorbei, der Ring wurde freigegeben. Der Aufbau-Verlag wollte ein Gedicht von Wolf Biermann über Müllers erste Ehefrau Inge veröffentlichen. Brigitte Mayer fand das Gedicht beleidigend – für ihren Mann, dessen Exfrau und sie selbst. Biermann nannte das Zensur, und der Spiegel druckte das Gedicht.

Das war der Auftakt, die zweite Runde ließ nicht lange auf sich warten. Im August kam es zum Prozeß zwischen Brigitte Mayer und dem Rotbuch-Verlag. Heiner Müller hatte seinen Vertrag mit dem Verlag noch zu Lebzeiten gekündigt, seine Werkausgabe sollte bei Suhrkamp erscheinen. Rotbuch wollte von den Müller-Büchern nicht lassen, Brigitte Mayer setzte sich vor Gericht durch. Inzwischen ist sie der Sache leid. Statements zu dem Streit sind von Brigitte Mayer nicht mehr zu bekommen: Sie findet es wichtig, daß Müller gelesen werden kann, und das sei ja jetzt möglich.

Doch den Schlußstrich im Witwenspiel darf weder sie ziehen noch will man das einem Gericht überlassen. Kurz vor dem Rotbuch-Prozeß hatte C.Bernd Sucher in der Süddeutschen Zeitung besagte Glosse plaziert. Brigitte Mayer war zur bösen Müller- Hexe geworden, zur störrischen Witwe. Sucher fand nur die schärfsten Worte für ein Ressentiment, das sich in den meisten Köpfen längst festgesetzt hatte: Die macht- und geldgeile Nachlaßverwalterin mache sich zur alleinigen Herrin über das Müller- Material.

Nicht immer läuft das Witwen- Bashing so langsam an. Yoko Ono mußte sich bereits zu Lebzeiten ihres Mannes dafür verantworten, daß die Beatles keine Schallplatten mehr machten. Und als Willy Brandt starb, wurde seiner Witwe Brigitte Seebacher- Brandt gleich in der Berichterstattung zu den Trauerfeierlichkeiten der Unhold-Stempel aufgedrückt, weil sie Brandts Exfrau nicht eingeladen hatte. Der Scheiterhaufen ließ allerdings noch eineinhalb Jahre auf sich warten. Erst als Seebacher-Brandt begann, sich in anstrengenden Zeitungsartikeln zur Lage der Nation zu äußern, schlug Willi Winkler in der taz vor, die Witwenverbrennung wieder einzuführen.

Tollheit, aber sie hat Methode. Der Ikonoklasmus, den zu Lebzeiten keiner versuchen wollte und der kurz nach dem Tode schlicht fehl am Platz ist, wird einer beteiligten Dritten zugeschoben: der Witwe. Heiner Müller ist ein harter Brocken, eine metallisch glänzende Kulturikone. Genau wie die Überväter John Lennon oder Willy Brandt reizt er zum Widerspruch.

Aber wer an dem Sockel dieses Helden rütteln will, muß ein Weilchen warten, bis die Kulturdetektive genügend Indizien in den Archiven gesammelt haben. In der Zwischenzeit tanzen die Feuilletonisten und der Rest der selbsternannten Öffentlichkeit um ihren prasselnden Scheiterhaufen. Kolja Mensing