Der Rebell von Schalkham

Ein cleverer Bürgermeister: Eine der ärmsten Gemeinden Bayerns nimmt keine Subventionen an – und finanziert ein Programm für Sonnenenergie  ■ Von Felix Berth

Der Aufkleber auf dem Elektroauto von Hans Noppenberger sieht vertraut aus. Es ist eines jener gelben Rechtecke, bedruckt mit einem weiß-blauen Wappen und dem Bekenntnis, daß der Fahrer aus München, Wasentegernbach oder einem anderen Dorf im Freistaat Bayern stammt. Hans Noppenberger hat diese Form des Lokalpatriotismus ein bißchen ergänzt: „Schalkham, Freistaat im Freistaat Bayern“, hat er auf den Aufkleber schreiben lassen und damit seine persönlich-politische Unabhängigkeitserklärung verfaßt: „Mit Stolz und Trotz“ wollte der Landwirt demonstrieren, daß seine Gemeinde auf alle Subventionen „von oben“ verzichtet hat, seit er 1990 Bürgermeister wurde.

Sechs Jahre nach seiner Wahl präsentiert sich Schalkham als merkwürdiger Ort. Neue Wasser- und Abwasserleitungen, die sich andere Kommunen mit Millionensummen aus der Staatskasse fördern lassen, hat die Gemeinde komplett selbst bezahlt – sogar ohne Bankkredite, so daß Schalkham schuldenfrei ist, wie nur ganz wenige Gemeinden in Bayern. Und obwohl die Steuereinnahmen Schalkhams zu den niedrigsten in Bayern gehören (Platz 2.023 auf einer Liste von 2.056 Gemeinden), leistete sich der Ort jahrelang eine Förderung für Solarenergie, die für die höchste Kollektordichte in der ganzen Bundesrepublik gesorgt hat: Auf jedem vierten Hausdach liegt eine Solaranlage.

Um diese Widersprüche aufzulösen, um also zu entscheiden, ob die Gemeinde Schalkham reich, arm oder irgendwie wundersam ist, muß man wohl wissen, wie Hans Noppenberger zu seinem Amt gekommen ist. Seine Erfolgsgeschichte begann in den späten achziger Jahren, als die Gemeinde neue Wasserleitungen bekommen sollte. Ein Ingenieurbüro hatte zwei Varianten geplant – zum Preis von wahlweise 6,4 oder 4,8 Millionen Mark, was viele Bewohner mit Gruseln hörten: Erstens waren sie an bestehende Brunnen angeschlossen. Und zweitens hätten manche nicht gewußt, wo sie die fünfzehntausend Mark hernehmen sollten, die für die neuen Leitungen fällig wären.

Sie nahmen andere Rohre und verlegten sie selbst

Der Gemeinderat, in dem die CSU nicht nur über die absolute, sondern über die totale Mehrheit verfügte (neun von neun Sitzen), kümmerte sich mit gewohnter Intensität um den Bürgerprotest, mußte aber nach verantwortungsvollen Beratungen verkünden, daß die 6,4-Millionen-Variante eindeutig die bessere sei. Denn nur dafür gebe der Freistaat einen Zuschuß, was ja die Kosten senken würde. Und daß das planende Ingenieurbüro prozentual beteiligt sei, also an einer teuren Anlage mehr verdiene als an einer billigen, sei zwar bedauerlich, aber nicht zu ändern. Hans Noppenberger, bis dahin ein eher unpolitischer Mensch – „weder in der CSU noch am Stammtisch aktiv“ – kandidierte deshalb 1990 gegen den CSU-Bürgermeister, versprach sparsame Wasserleitungen: und gewann, gemeinsam mit seiner Liste der „Freien Wähler“. Er übernahm nach der Wahl auch den Job des Bauleiters, und im Sommer 1992 wurden die neuen Wasserrohre eingegraben: Keine fünf Meter langen PVC- Stücke mehr, die einzeln zusammengesteckt werden, sondern 300 Meter lange Rohre aus Polyethylen. Pro Tag verlegte Noppenberger gemeinsam mit den Bürgern von Schalkham ein bis zwei Kilometer Wasserleitungen. Endpreis: statt der vom Ingenieurbüro kalkulierten 6,4 oder 4,8 nur noch 1,2 Millionen Mark.

Ein Jahr später wiederholte sich das Spiel, diesmal bei den Abwasserkanälen im Weiler Lebenskirchen, der zu Schalkham gehört. Hier legten Ingenieure eine erste Schätzung von 1,5 Millionen Mark vor, die schon bald auf wundersame 2,7 Millionen stieg. „Unter anderem war geplant, die Rohre fünf Meter tief durch einen Hügel zu graben, was ziemlich teuer gekommen wäre“, sagt Noppenberger. „Bei unseren Gesprächen hat dann ein Landwirt gesagt: „Wenn man die Rohre hinter meinem Hof vorbeiführt, muß man nicht durch den Hügel durch.“

Auch die zugehörige Kläranlage wurde sparsam und gemeinsam gebaut, wodurch die Kosten für das ganze Projekt am Schluß bei 700.000 Mark lagen – 75 Prozent unter der Prognose der Ingenieure. Heute wird die Kläranlage von den Lebenskirchnern saubergehalten, was noch mal Geld spart und dazu geführt hat, daß bisher keine Mark Abwassergebühren fällig wurde. „Viele dieser Sparmaßnahmen entdecken die Bürger selbst – wenn man sie läßt“, lautet Noppenbergers Bilanz.

Daß ihn solche Projekte in Ämtern und Ministerien weniger berühmt als vielmehr berüchtigt machen, kann sich der 55jährige ausrechnen. „Besonders bitter ist das wohl für unseren Finanzminister“, sagt er. Erwin Huber habe im nahen Dingolfing nämlich seinen Wahlkreis und sei sofort zur Stelle, wenn etwas einzuweihen ist. „Bloß hat der Freistaat bei unseren Projekten nichts finanziert. Also brauchen wir auch keinen Minister zum Einweihen – was denen vielleicht das Gefühl gibt, nicht gebraucht zu werden.“ Erst neulich sei der neue Kindergarten eröffnet worden, dummerweise wieder so billig, daß kein Staatszuschuß notwendig war. Huber habe, so erzählt Noppenberger, bei einer Einweihung im Nachbarort ziemich gewettert, was in Schalkham wieder für ein Unsinn gemacht worden sei.

Auch sein „Schalkhamer Solarmodell“, für das Noppenberger den renommierten Europäischen Solarpreis bekam, hat manchen Repräsentanten des Freistaats blaß werden lassen. So fragte im Jahr 1994 der besorgte Rechtsanwalt des Landratsamtes Landshut an, wie Noppenberger die 2.000 Mark Zuschuß pro Solaranlage finanzieren wolle. Die Antwort lautete schlicht: mit dem, was die Gemeinde einnimmt. Und Noppenbergers nächster Satz dürfte den Juristen wohl in amtliche Angst versetzt haben: „Zuschußrichtlinien gibt es keine, der Betrag wird nach Fertigstellung der Anlage unbürokratisch gutgeschrieben.“ Noppenbergers eigene Solaranlage hat 34.000 Mark gekostet und heizt sein Haus zehn Monate im Jahr. Zwei Wintermonate lang heizt er mit Holz zu.

Nun hat dieser lapidare Tonfall, mit dem der ehemalige Volksschullehrer seine Konzepte durchsetzt, schon zu einer gewissen Berühmtheit in der alternativen Szene geführt. Die Grünen und die ÖDP, die in Niederbayern besonders stark ist, haben ihn umworben, doch er hat bisher abgelehnt. Einmal hat der Pragmatiker Noppenberger sogar überlegt, ob er der CSU beitreten soll – wegen des „besseren Drahts nach München“. Getan hat er es nicht. Gute Freunde rieten ihm ab.

Und der Kindergarten war auch billiger als üblich

Sogar bis zum Fernsehen hat sich inzwischen herumgesprochen, daß dort in Niederbayern ein Ökorebell sitzt, weshalb vor kurzem ein Kamerateam anreiste und einen Tag lang ausgesprochen idyllische Bilder gemacht haben muß, unter anderem von leerstehenden, schönen Bauernhöfen und von Noppenbergers Ehefrau, die für ihre acht Kinder und ihren Mann in einem Riesentopf Dampfnudeln gemacht hat, was dann zu unzähligen Anrufen führte: „Mindestens zwei Dutzend Leute aus ganz Deutschland wollten danach unbedingt nach Schalkham umziehen“, faßt Noppenberger die Medienwirkung zusammen.

Seine Sorge, mit der er neuerdings seine Besucher verabschiedet, sei deshalb ausführlich wiedergegeben: „Wenn hier pausenlos Interessenten anrufen, komme ich überhaupt nicht mehr zum Arbeiten – weder als Bürgermeister noch auf meinem Bauernhof.“