Morgen beschließt die Steuerreformkommission die Pläne für die Steuerentlastung ab 1999. Eine erhöhte Mehrwertsteuer soll einen großen Teil der Finanzlöcher schließen. Volkswirtschaftlich ist die Waigelsche Finanzakrobatik wieder mal fragli

Morgen beschließt die Steuerreformkommission die Pläne für die Steuerentlastung ab 1999. Eine erhöhte Mehrwertsteuer soll einen großen Teil der Finanzlöcher schließen. Volkswirtschaftlich ist die Waigelsche Finanzakrobatik wieder mal fraglich

Die Masse soll den Mehrwert bringen

Ab 1999 soll die Mehrwertsteuer die leeren Kassen füllen. Um einen Prozentpunkt wolle er die Mehrwertsteuer anheben, sagte Finanzminister Theo Waigel gestern nach einer CSU-Präsidiumssitzung. Zahlten VerbraucherInnen 16 Prozent Mehrwertsteuer (statt jetzt 15) auf Hose, Auto oder Möbel, komme er damit aus. Zumindest „nach dem Konzept, das ich verfolge“, sagte der Finanzminister, den CDU-Politiker auch gestern wieder zum Rücktritt aufforderten.

Das ficht Waigel nicht an. Die Mehrwertsteuer sei lediglich eine „Restgröße“ in der Diskussion über die Steuerreform. Zu vernachlässigen also geradezu, suggerierte der Finanzminister gestern. Dabei macht sie knapp 29 Prozent seines gesamten jährlichen Steuereinkommens aus. Im letzten Jahr hat Waigel wohl 235 Milliarden Mark durch die Mehrwertsteuer eingenommen. In diesem Jahr werden es 239 Milliarden Mark.

Nicht gerade eine „Restgröße“, wenn man die die Neuverschuldung von 78,3 Milliarden Mark im vergangenen Jahr bedenkt. Von Altschulden und Schattenhaushalten gar nicht erst zu reden. Dabei reicht das den Verbrauchern aus der Tasche gezogene Geld schon jetzt hinten und vorne nicht, um Waigels Haushaltslöcher zu stopfen. Oder gar Deckungslücken in zukünftigen Haushalten von vornherein auszuschließen. Insbesondere dann nicht, wenn durch die auch gestern wieder in der Bonner Steuerreformkonferenz diskutierte Steuerentlastung noch einmal 70 bis 100 Milliarden Mark in den Steuertöpfen ab 1999 fehlen.

Jeder Prozentpunkt höhere Mehrwertsteuer bringt Waigel oder seinem Nachfolger angeblich 15 Milliarden Mark in die Kasse. Deswegen hätte er am liebsten 17 oder gar 18 Prozent. Dem Finanzminister stehen davon lediglich 50,5 Prozent zu. Die andere Hälfte bekommen 1996 und 1997 die Länder. Wenn „der große Wurf Steuerreform“ (CDU-Jargon) ab 1999 in Kraft tritt, kriegt der Bund noch weniger: Auf rund 42,5 Prozent schrumpft dann sein Anteil. Der Großteil der Mehrwertsteuer geht an die Länder und erstmals auch an die Kommunen. Ihnen entzieht der Finanzminister ab 1998 die Gewerbekapitalsteuer. Außerdem sind Städte und Gemeinden zu 15 Prozent an der Einkommensteuer beteiligt. Sinkt die, wie von Waigels Steuerreformkommission angestrebt, bekommen die Kommunen einen Ausgleich aus dem Bonner Mehrwertsteuertopf.

Waigels Wunsch, die Mehrwertsteuerdiskussion von der Reform zu entkoppeln, erscheint da in neuem Licht. Er bräuchte mindestens vier Prozentpunkte mehr Mehrwertsteuer, wenn überhaupt erkleckliche Batzen im Finanzressort hängenbleiben sollen. „Das ist politisch überhaupt nicht durchsetzbar“, sagt Christine Scheel, finanzpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Denn: „Die Mehrwertsteuer belastet die kleinen Leute.“

Die kleinen und mittleren Einkommensgruppen profitieren prozentual am wenigsten von der angekündigten Steuerreform der Koalition. Wie bislang aus der konspirativen Kommission bekannt wurde, sollen Menschen mit einem Jahreseinkommen zwischen 13.000 und 80.000 Mark zwischen 19,5 und 39 Prozent Steuern zahlen. Ab 80.000 Mark im Jahr zahlen sie 39 Prozent Steuern. Theoretisch. Denn die Modalitäten der Abschreibungsmöglichkeiten für Besserverdienende sind nach wie vor nebulös.

Die Folgen einer höheren Mehrwertsteuer hingegen können Wirtschaftswissenschaftler bereits voraussehen. „Höhere Mehrwertsteuer fördert Schwarzarbeit“, meint das Handelsblatt. Unternehmen dürfen die korrekt als Umsatzsteuer bezeichnete Steuer auf Kunden und Verbraucher abwälzen.

Das ist jedoch nur zu einem geringen Teil möglich. In Zeiten von offiziell 4,1 Millionen Arbeitslosen und über 2 Millionen Sozialhilfeempfängern wird die Bevölkerung die höheren Preise mit Kaufverzicht quittieren. Unternehmen haben schon 1983 bei der letzten Anhebung der Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt nur 0,5 Prozent abgewälzt. Der Rest ging zu Lasten der Unternehmer. Und selbst wenn sie die höheren Kosten umwälzen, stehen die Gewerkschaften auf der Matte. Ulrike Fokken