Herr Direktor darf nicht nach Hause

Seit vier Tagen haben die Angestellten des Pariser „Crédit Foncier de France“ ihren Generaldirektor „entführt“ – er darf nicht weg. Sie wollen die geplante Auflösung des Kreditinstituts verhindern  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Der Herr Generaldirektor ist ungehalten. Vom anderen Ende seines Arbeitszimmers, wo er hinter einem antiken Schreibtisch steht, winkt er ab. Dann springt die Sekretärin auf, läuft in einem Bogen um das schmale Feldbett herum, das Jérôme Meyssonnier direkt unter dem goldgerahmten Wandspiegel vor dem offenen Kamin aufgestellt hat, und versperrt den Eindringlingen den Weg. „Monsieur Meyssonnier hat genug geredet“, wimmelt sie ab, „er möchte nicht mehr gestört werden.“

Seit vier Tagen ist der Generaldirektor des „Crédit Foncier de France“ (CFF) in seinen Arbeitsräumen. Ununterbrochen und unfreiwillig. Die Angestellten des Kreditinstituts, das er seit 1995 leitet, haben ihn „entführt“, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Das Wort „Geisel“ benutzen sie nicht. Weder für Jérôme Meyssonnier noch für die sieben anderen Direktionsmitglieder, die sie seit vergangenen Freitag im Pariser Hauptsitz des CFF festhalten.

Am Anfang zeigte der Generaldirektor noch Verständnis für den Aufruhr seiner Angestellten. Wie in den 18 vorausgegangenen Monaten bestätigte er ihnen, daß auch er gegen die vom Finanzminister geplante Auflösung des „Crédit Foncier de France“, gegen den Anschluß an ein anderes Finanzinstitut und gegen die damit verbundenen Massenentlassungen sei.

Aber am Montag ist seine Stimmung umgeschlagen. Erst wenn die Besetzung zu Ende ist und er seine Freiheit zurückbekommt, will der Generaldirektor wieder mit den Vertretern der sechs Gewerkschaften sprechen, die sich angesichts des großen Konflikts in einer „Intersyndicale“ zur Aktionsgemeinsschaft zusammengeschlossen haben.

„Soll er doch schweigen“, sagt die Kundenberaterin, die den Generaldirektor zusammen mit einem Dutzend anderer Angestellten rund um die Uhr von dem Vorzimmer aus bewacht, das die Sekretärin geräumt hat. Unter den hellblauen Polsterstühlen, die längs der mit Stofftapeten bezogenen Wände aufgestellt sind, liegen gefaltete Wolldecken und Kopfkissen, die die Besetzer nachts auf dem dicken Teppich ausbreiten. „Monsieur Meyssonnier hat ja eh keine Macht gegenüber der Regierung“, ergänzt die Mittfünfzigerin mit der Goldbrosche am Revers, „Was sollen da weitere Gespräche mit ihm? Und wo er immer behauptet hat, er stehe auf unserer Seite, kann er nun auch diesen Streik mitmachen.“

Seit über 30 Jahren arbeitet sie im Dienste des „Foncier“. Normalerweise berät sie Privatleute, die Kredite für ihre Eigenhausprojekte suchen. Seit 1995 ist der Kampf für die Rettung des Instituts immer mehr in den Vordergrund getreten. Unzählige Male hat die Kundenberaterin seither demonstriert, mehrfach stundenweise gestreikt und einmal sogar die Börse besetzt.

Nur leider half das alles nichts. Abgesehen von ein paar Wirtschaftsjournalisten vermeldete kaum jemand die Proteste. Und die Regierung behielt ihre Pläne völlig unbeirrt bei. Erst seit vergangenem Freitag, als erstmals in der französischen Finanzgeschichte das Personal ein Geldinstitut besetzt und das Direktorium „entführt“ hat, weiß ganz Frankreich Bescheid.

Und plötzlich ist auch die Regierung konzilianter. Schon am Montag schlug Premierminister Alain Juppé einen „Vermittler“ vor. Und Finanzminister Arthuis, der bis dato ausschließlich die 10,8 Milliarden Franc (ca. 3,2 Milliarden Mark) hohen Verluste des Geschäftsjahres 1995 gesehen hatte, sprach gestern plötzlich auch von der einen Milliarde Franc Gewinn, die das Institut im vergangenen Geschäftsjahr „möglicherweise“ gemacht hat.

„Nur der entschlossene Kampf zählt“, weiß Alain von der „Intersyndicale“, die diese neueste Kampfform der Bankangestellten am Freitag einstimmig beschlossen hatte, „das haben doch auch die Streiks der Eisenbahner und der Lkw-Fahrer gezeigt.“ Unermüdlich erklärt Alain seit Beginn der Aktion in der Eingangshalle des „Foncier“, was die Bankangestellten wollen: den Erhalt des Instituts, das dringend nötig sei, um den Wohnungsbau in Gang zu halten. Eine Rekapitalisierung, durch einen externen Aufkäufer, „möglicherweise auch einen Ausländer“. Und eine Umstrukturierung, die „auch einen Personalabbau beinhalten wird, aber weniger radikal als von der Regierung vorgesehen“.

Im Eingang des zwischen der alten Pariser Oper und der Madeleine gelegenen „Foncier“ leuchtet eine elektronische Werbetafel. „Investieren Sie jetzt. Bauen Sie“ steht da in roten Lettern. Seit vergangenem Freitag sind zahlreiche Transparente auf den Marmorwänden hinzugekommen. „Dies ist unser Institut“ steht darauf, „Wir lassen den Foncier nicht kaputtmachen“ und: „Finanzminster Arthuis hat gelogen“.

Trotz Streik und Besetzung gehen die Beratungsgespräche in einem abgetrennten Raum weiter. „Wir wollen auf keinen Fall unsere Kunden vergrätzen, schließlich sind wir auf sie angewiesen“, erklärt Alain. Aber die meisten Kunden wollen in diesen Tagen gar keine Baufinanzierung – sie kommen, um ihre Sympathie auszudrücken. „Wer sonst hätte mir mein Reihenhaus finanziert?“ sagt ein Rentner. „Haltet durch“, wünscht eine Lehrerin, die im nächsten Jahr bauen will. „Warum legt ihr kein Gästebuch aus, damit wir unsere Solidarität eintragen können?“ fragt eine andere Dame bei Alain nach.

Aus der Schalterhalle dringt lautes rhythmisches Pfeifen und Klatschen. „Finanzminster Arthuis, du ahnst ja nicht, wohin wir uns deinen Plan stecken werden“, skandieren mehrere hundert Bankangestellte. In der Mitte der Halle tanzt Françoise auf einem improvisierten Holzpodest. In der Rechten hält sie das Mikro, in das sie einen Slogan nach dem anderen singt. Mit dem Rest ihres schmalen Körpers tanzt die Mittvierzigerin, die im normalen Leben Anlageberaterin ist, wie ein Go-go-Girl. „Die macht das jetzt seit vier Tagen“, meint anerkennend ein Kollege von der Immobilienprüfabteilung, der mit seinen eleganten englischen Schuhen im Takt zu Françoise' Slogans stampft, „sie hat ein fabelhaftes Talent.“

In einem großen Kreis zu Füßen von Françoise haben sich ältere Damen versammelt. Eine von ihnen, Telefonistin im Alltag, bläst energisch in eine rosa Trillerpfeife, die farblich zu dem Blümchenmuster auf ihrem weißen Strickpullover paßt. Wie an die 400 weitere Kollegen des „Foncier“ ist sie im „Vorruhestandsalter“ – also über 55. „Wenn ich wollte, könnte ich morgen gehen“, sagt sie, „eine anständige monatliche Zahlung ist mir angeboten worden.“ Aber die Dame will erst akzeptieren, wenn feststeht, daß der „Foncier“ bestehenbleibt.

Die potentiellen Vorruheständler, plus ein – bislang nicht vorhandener – potenter Kapitaleinsteiger würden ausreichen, um den „Foncier“ zu retten, rechnet Patrick Kronenbitter von der „Intersyndicale“ vor. Der Betrieb, der einst den deutschen Bausparkassen als Vorbild diente, hat immer noch „300 Milliarden Franc als Kredite im Umlauf, eineinhalb Jahrhunderte Erfahrung auf dem französischen Markt und gutes Personal“, sagt er. Die Eile bei der Liquidierung des halbstaatlichen Unternehmens erklären sich die Angestellten mit dem allgemeinen Abbau des öffentlichen Dienstes. „Anstatt zu sanieren, anstatt die Vetternwirtschaft, anstatt die Unterschlagungen von Baugeldern aufzudecken, die für unsere Verluste verantwortlich waren, schützen die da oben ihre Freunde – ganz egal ob das Sozialisten oder Konservative sind“, schimpft eine Sachbearbeiterin.

Im ersten Stock sind von den Slogans, den Gesängen und den Solidaritätserklärungen beinahe der gesamten Gewerkschaftsprominenz Frankreichs nur die Rhythmen zu vernehmen. Gelegentlich, wenn der Begeisterungspegel, wie bei der Rede der Trotzkistenchefin Arlette Laguiller – „ich danke euch“ – und bei der Ansprache von Louis Viannet, dem Chef der kommunistischen Gewerkschaft CGT – „schlagt euch weiter“ –, besonders hoch ansteigt, schaukelt der Kronleuchter im Vorzimmer der Generaldirektion ein wenig.

Der Generaldirektor ruft weiterhin regelmäßig sein Direktionskomitee zusammen. Seine direkten Mitarbeiter können nach außen telefonieren, ihre Familien in der Bank empfangen und sich neue Anzüge und besseres Essen bringen lassen. „Wenn wir wollten, könnten wir auch fliehen“, sagt der Vizedirektor des Instituts, Denis Vilarrubla, mit einem Blick auf die großen Fenster seines Büros. „Aber schließlich gibt es eine Solidarität mit dem Generaldirektor. Wir bleiben zusammen.“