Süd-Koreas Präsident macht kehrt

■ Gesprächsangebot an Opposition und Gewerkschaften

Berlin (taz) – Über drei Wochen lang zeigte sich Süd-Koreas Präsident Kim Young Sam unnachgiebig und lehnte Gespräche sowohl mit der parlamentarischen Opposition als auch mit den Gewerkschaften ab. Gestern vollzog er nun die Kehrtwende. Er setzte sich mit den Führern der parlamentarischen Opposition an einen Tisch und zeigte sich bereit, das umstrittene Arbeitsgesetz, das die heftigen Streiks der vergangenen Wochen ausgelöst hatte, vom Parlament überprüfen zu lassen. Zudem kündigte er an, die Haftbefehle gegen die Führung der von der Regierung nicht anerkannten Gewerkschaftsdachverbandes (KCTU) auszusetzen. Die Polizei begann daraufhin am Abend, die Belagerung der Myongdong-Kathedrale in Seoul aufzuheben, in die sich die KCTU-Führer geflüchtet hatten.

Neben dem Arbeitsgesetz könnte auch das neue Sicherheitsgesetz, das zusammen mit dem Arbeitsgesetz unter Ausschluß der Opposition am 26. Dezember durch das Parlament gepeitscht worden war, im Parlament neu diskutiert werden. Eine völlige Rücknahme der Gesetze und deren Neuverhandlung, wie von Opposition und Gewerkschaften gefordert, lehnt Kim mit dem Verweis auf die Verfassung allerdings ab. Die schreibe schließlich vor, daß vom Parlament verabschiedete Gesetze nicht aufgehoben werden dürften.

Auf die vorsichtigen Konzessionen des Präsidenten reagierten denn auch sowohl die Oppositionspolitiker als auch die Vertreter der beiden Gewerkschaftsdachverbände, die offiziell anerkannten FKTU und die verbotene KCTU, ablehnend.

Allerdings hat Kim nun seine in den letzten Wochen zur Schau gestellte arrogante Haltung gegenüber Opposition und Gewerkschaften aufgegeben. Ursache sind wohl zum einen die hohen Einbußen der Konzerne durch die Streiks, die sich bisher auf über drei Milliarden Dollar belaufen. Zum anderen hat die Popularität des Präsidenten im Lande ihren absoluten Tiefpunkt erlangt: Nur noch 16,9 Prozent der Wähler würden Umfragen zufolge der Partei des Präsidenten ihre Stimme geben – und 1997 ist Wahljahr.

Der gewichtigste Grund für die Kehrtwende dürfte aber die drohende Mahnung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sein, die für den heutigen Mittwoch erwartet wird. Es gilt als wahrscheinlich, daß die für Arbeitsfragen zuständige OECD- Kommission zu dem Befund kommen wird, daß die neuen Arbeitsgesetze internationale Standards verletzen. Die Regierung Kim wäre dann aufgefordert, die gegenüber der OECD zugesagten Überarbeitungen der Arbeitsgesetze einzulösen, was ihren Gesichtsverlust komplett machen würde. Dem versucht Kim nun durch partielle Konzessionen zuvorzukommen. Knut Henkel