„Ich will nicht, daß Marx recht behält“

■ Friedrich Schorlemmer, Mitunterzeichner der Erfurter Erklärung, zu PDS und Demokratie

taz: Für Helmut Kohl sind Sie der „intellektuelle Anstifter“ zur Abschaffung der Demokratie.

Friedrich Schorlemmer: Solche Töne habe ich das letzte Mal 1989 gehört. Damals war ich der Anstifter zur Abschaffung des sozialistischen Friedensstaates.

Ihre Kritiker meinen, Sie sprechen inzwischen die Sprache derer, die damals diese Vorwürfe gegen Sie erhoben haben. Sie wollen die PDS für die parlamentarische Demokratie weißwaschen.

Ich bin bereit, täglich nach dem Morgengebet zu schwören, daß ich nicht nur für die parlamentarische Demokratie bin, sondern auch bereit, mich für sie einzusetzen. Aber ein Auseinanderdriften der Gesellschaft in solche, die immer mehr haben, und solche, die immer weniger haben, gefährdet die Demokratie. Deshalb haben wir die Erfurter Erklärung veröffentlicht. Unser Zielpunkt ist nicht die PDS, sondern die Erhaltung der sozialen Demokratie.

So spricht der Theologe. Antworten geben Realpolitiker.

Ich denke, der Sozialstaat muß umgebaut werden, das geht nicht ohne Einschnitte, auch schmerzhafte. Wir müssen nur fragen, wie wir diese Einschnitte gerecht verteilen. Was nicht geht ist, daß die Politik mehr und mehr in die Hand der Banken kommt. Ich möchte nicht, daß Karl Marx mit seiner Analyse des Kapitalismus recht behält. Nichts wäre schlimmer als Realpolitiker ohne eine Vision und Visionäre fern der Realität. Ich bin schließlich Sozialdemokrat und nicht irgendein Politspinner.

Arnold Vaatz, DDR-Bürgerrechtler wie Sie, sagt, die Erfurter Erklärung sei von Haß diktiert.

So ein Papier ist immer auch ein Kompromiß. Ich kann aber nicht erkennen, daß sie von Haß erfüllt sei. Kalter Krieg gegen den Sozialstaat erfolgt dann, wenn man langumkämpfte Arbeitnehmerrechte abschafft und das dann Programm für Wachstum und Beschäftigung nennt. Es geht um gerechte Verteilung des Reichtums dieser Gesellschaft und keinesfalls um sozialistische Experimente, bei denen man aufhört zu rechnen. Nur möchte ich nicht, daß wir in einen Staat kommen, in dem wir nur noch gnadenlos rechnen. Die, die von „Linksreaktionären“ reden, sollen sich mal in die Schlange der Leute einreihen, die allmorgens vor dem Arbeitsamt stehen, und deren Gespräche anhören.

Die Erfurter Erklärung beschwört die politische Opposition auf den gemeinsamen Nenner, Kohl abzulösen. Das Gegenteil passiert: Sie polarisiert sich an der Haltung zur PDS.

Ich möchte keinesfalls, daß es zu einem Lagerwahlkampf kommt, sondern mit allen Demokraten zusammenarbeiten. Dabei muß ich sehen, daß auch in der PDS Leute sind, die dies zum wichtigsten Thema machen. Mit Leuten, die nicht zweifelsfrei unser Grundgesetz anerkennen, werde ich nicht zusammenarbeiten. Ich fürchte aber, daß die gegenwärtige Politik zur Aushöhlung unseres Grundgesetzes beiträgt. Die PDS halte ich für keine so große Gefahr wie die gegenwärtige Sozialpolitik der Bundesregierung. Dieses Land verträgt auf Dauer nicht noch mehr Arbeitslose.

Mit ähnlichen Worten sind vor Jahren die Kommitees für Gerechtigkeit angetreten.

In die ich nicht hineingegangen bin. Das war eine reine Ostveranstaltung, die Erfurter Erklärung aber eine gesamtdeutsche Initiative. Und ich lasse mir von niemanden unterstellen, ich sei ein sozialistischer Träumer und kein Demokrat. Wir sollten den demokratischen Diskurs nicht vergiften. Manche Formulierungen der Erfurter Erklärung sind harscher, als ich sie möchte. Aber: Diese Bundesrepublik braucht den politischen Wechsel. Die jetzige Regierung ist nicht bereit, die Wahrheit zu ökonomischen Perspektiven zu sagen. Ob eine neue Koalition bereit sein wird... Dazu müssen sich erst noch die Figuren finden.

Suchen Sie das Gespräch auch mit den Unterzeichnern der Berliner Erklärung?

Unter ein bestimmtes Niveau zu gehen, bin ich nicht bereit. So gut es geht, möchte ich aber denen, die ich sehr schätze, eines klarmachen: Freunde, der Kommunismus ist tot. Laßt ihn nicht virtuell auferstehen und sucht nicht dauernd ein Objekt, an dem Ihr Eure Wut auf diese vierzig Jahre loslassen könnt. Die PDS ist für diese Wut das falsche Objekt. Interview : Detlef Krell