Fliegenschneiden im Dauerdämmer

■ Neu im Kino: „Abel“ – eine groteske Komödie aus Holland

Den Engländern sagt man sie nach, die Holländer haben sie – im Kino jedenfalls: Skurrilität und trockenen Witz, der sich aus permanent ins Groteske abdriftenden Situationen ergibt, die der Alltag so bereithält. Genauer: der scheinbar reibungslos rhythmisierte Alltag gediegener Bürgerlichkeit. Ort: ein bonbonbunt ausgeleuchtetes Appartment, dem eine gesichtslose holländische Großstadt zu Füßen liegt, gebaut aus betont künstlichen Kulissen. Dort liegt, in seinem in Dauerdämmer gehülltes Zimmer, Abel in seinem Bett und versucht, Fliegen mit einer Schere in der Luft zu zerschneiden.

Auch am Weihnachtsabend, als Abels überkorrekter Vater (Henri Garcin) und seine mehr als fürsorgliche Mutter (Olga Zuiderhoek) einmal nicht streiten wollten mit dem 31jährigen Sohn, der noch nie das elterliche Heim verlassen hat. Seine Weltsicht ist die durchs Fernglas in die Wohnzimmer anderer Leute. Den Abel spielt der Regisseur Alex van Warmerdam in seinem gleichnamigen Debütfilm selbst. „Abel“ ist ein artifizielles Sammelsurium ausgefeilter Anekdoten, zusammengehalten von der subtilen Querulanz des Hauptdarstellers, dem sein Vater noch nicht einmal erlaubt fernzusehen. Mit den armen Russen kennt sich Abel trotzdem aus, die „ins Stahlwerk müssen, bevor es hell wird und erst rauskommen, wenn es wieder dunkel ist“.

Wie kann man mit dem Jungen bloß einmal einen ganz normalen Abend verbringen? Ein herbeizitierter Psychologe gibt den Eltern die Schuld an Abels gespielter Debilität; der Arzt, zweiter Rettungsversuch, will „kein „Metalldetektor“ sein und kann nicht arbeiten, wenn noch Silber im Behandlungszimmer ist.

Silber? Solche Dada-Querschläger prallen allenthalben ab von den teuer bespannten Wänden der Luxus-Wohnung. Bis Abel den familienzusammenführenden Akt des Vaters – er hat sich doch zur Anschaffung eines Fernsehers durchgerungen – konterkariert: Klammheimlich hat seine Mutter, von den täglichen Hummern und Hors d'Oeuvres abgespart, bereits einen für Abel gekauft – die Katastrophe bahnt sich an.

Van Warmerdams Erstling von 1985 (sein zweiter Film „De Noorderlingen“ bekam 1993 den Europäischen Filmpreis und ist ebenfalls am Wochenende im Kino 46 zu sehen) atmet den Geist der 80er Jahre: vollendete Künstlichkeit in Dekor und Habitus, falsche Gefühle, eine Story, die hermetisch gegen jegliche Attacken von Glaubwürdigkeit abgeriegelt ist. Eine Zeitlang geht das gut; so schnell gehen van Warmerdam die komischen Ideen nicht aus.

Bloß: Wohin soll die Reise gehen? „Abel“ wird in dem Maße langatmiger, wie der Regisseur der Not gehorcht, eine Geschichte erzählen zu müssen. Die plötzlich leider so Hals über Kopf weitergeht, wie sie in den ersten 45 Minuten lediglich als Beigabe einer als absurd erkannten Welt fungierte: Abel, vom Vater auf die Straße gesetzt, rutscht in ein Verhältnis mit gerade der Peepshow-Tänzerin, mit der schon sein Vater eine Affäre hat. Was der Mutter nicht verborgen bleibt – Showdown in der Wohnung der Tänzerin. Messerstiche, Glassplitter, Versöhnung. Rettung des bürgerlichen Glücks.

„Abel“ ist ein Versprechen auf weitere Filme van Warmerdams, dessen Gespür für wirkungsvolle Dialoge und stimmige Dekors unbestreitbar ist, der vor allem aber eine treffsichere Bosheit für die finster-makabren Ecken im grell ausgeleuchteten Haus der Gutbürgerlichkeit zeigt. Der Frage, was van Warmerdam uns damit sagen will, daß am Schluß statt Mord und Totschlag eitel Sonnenschein in der verwüsteten Liebeslaube herrscht, wollen wir gar nicht tiefschürfend nachgehen. Van Warmerdam liefert 105 Minuten lang durchweg gut gespielte, surreale Oberflächenreize. Das ist nicht wenig. Und der kleinen Van Warmerdam-Gemeinde, die sich mittlerweile in Bremen gebildet und schon Kinokarten im Vorfeld geordert hat, ist das mehr als genug. Alexander Musik

Im Kino 46 (Waller Heerstr. 46), Do, Fr, Mo, Di 18 Uhr; „De Noorderlingen“ Sa, So 18 Uhr, jew. OmU.