Zeitgeist für den Theaterclub

Blutrache im Theater des Westens oder die Irrungen der Liebe: Premiere von Stephen Sondheims Musical „Zustände wie im alten Rom“ mit Ilja Richter in der Rolle des Sklaven Pseudolus  ■ Von Axel Schock

Das Orchester ist noch mächtig mit der Ouvertüre beschäftigt, da tritt Pseudolus in Gestalt von Ilja Richter vor den Vorhang, fängt an, in bedeutungsvollen Versen den Abend einzuleiten, und schweift sogleich ab ins flapsige Extemporieren: über den Winterschlußverkauf im KaDeWe, die Senatoren im Saal, geschlossene Theater und Etatkürzungen. Er kündigt eine Komödie an für diesen Abend, und aufs Stichwort hebt sich der Vorhang, um für einen kurzen Moment den Blick auf eine höchst dramatische Szene mit Blutrache, Kindsopfer und ähnlichem mythologisch-antikem Brimborium samt lärmender Brachialmusik freizugeben.

Wenn das so weitergeht, denkt man, dann gerät dieser Abend herrlich aus den Fugen. Aber dann findet Ilja Richter doch wieder zurück in den Text und verrät, was sich die Librettisten Burt Shebelove und Larry Galbart unter Komödie vorstellten: „Etwas Vertrautes, etwas Versautes..., ein bißchen witzig, ein bißchen spritzig ... für jedermann Komödie.“ Und leider, leider erfüllt sich das dann auch.

Einst gab es ein Lustspiel namens „Pseudolus“. Vor etwas mehr als zweitausend Jahren lachten die Römer über die Scherze des Titus Maccius Plautus. 1962 wurde daraus in New York ein erfolgreiches Musical, Titel: „A Funny Thing Happened On The Way To The Forum“. Ein heilloses Durcheinander um die geistig unterbelichtete Sklavin Philia (Carolin Fortenbach); um Hero, der in sie verliebt ist (Felix Martin); um den Krieger Miles Gloriosus (Julian Fiedler), der sie gekauft hat, und schließlich um den Sklaven Pseudolus, der das alles irgendwie zu jedermanns Zufriedenheit arrangieren will, damit er seine Freiheit geschenkt bekommt, dann aber doch nur noch mehr an Verwirrung stiftet.

Wie gesagt, damals, 1962, lachte man ganz herzhaft über diese alberne Variante der Screwball-Comedy. Für den jungen Komponisten Stephen Sondheim war dies erste eigene Musical ein gelungener Start zu einer steilen Karriere. Die Verfilmung (mit dem deutschen Titel „Toll trieben es die alten Römer“) mit Buster Keaton und Zero Mostel kriegte einen Oscar für die Musik, in Berlin produzierte ein Jahrzehnt nach der Uraufführung das Reichskabarett mit geringen Mitteln erstmals eine deutsche Fassung des Stücks. Weil auch am Broadway die Musicalwunder nicht einfach so von den Wolkenkratzern fallen und man sich mehr und mehr auf alte Hits besinnt, bekam auch „A Funny Thing...“ eine zweite Chance. Mit Erfolg und dem genialen Nathan Lane („The Birdcage“) in der Rolle des Sklaven Pseudolus.

Helmut Baumann, der sich immer schon darum bemühte, für sein Haus einerseits eingängige, andererseits aber auch jenseits des üblichen Musicalrepertoires angesiedelte Produktionen zu finden, griff zu. Die Bilderbuchbühne und die klischeegerechten, allerdings lila-gelb gehaltenen Kostüme im roman style von Tony Walton und die Choreographie von Rob Marshalls wurden vom Broadway übernommen.

Wahrscheinlich ist dies alles zusammen bereits zuviel Korsett für Baumanns Inszenierung im Theater des Westens. Obwohl es an Tempo gewiß nicht fehlt und der Zuschauer erst gar keine Zeit bekommt, dem immer abstruseren Gang der Handlung mit Nachdenken beizukommen – all das Gerenne und Getanze wirbelt letztlich nur jede Menge alten römischen Staub auf.

Denn die Anstrengungen, mit tagesaktuellen Späßchen einfach mal aus der Rolle zu fallen, sind letztlich viel zu bemüht und vor allem zu inkonsequent. Auch daß ab und zu ein bißchen Zeitgeistvokabular in die albernen Dialoge eingestreut wird, macht nur noch deutlicher, wie angegilbt die deutsche Übersetzung von Frank Thannhäuser insgesamt ist: „Adrett“ und „Liebchen“ sind nicht gerade die Wörter, die man in einer ganz und gar schwanz- und trieborientierten Begattungskomödie komisch finden würde.

Immerhin, Helmut Baumann und seine Truppe liefern Schauwert. Wer sich an gut gebauten jungen Damen erfreuen kann, kriegt ein kleines Ensemble Kurtisanen geboten, die sämtliche Varianten des Edelstripteasetanzens vollführen; und Sondheim liefert die passende Collage aus Nightclub-Revuemusiken dazu. Auch macht ein Komödiant wie Heinz Werner Kraehkamp die Rolle des frustrierten Ehemanns und dann bocksgeilen Verehrers des Blondchens Philia trotz dürren Textes zu einer durch und durch spaßigen Figur. Nicht anders Ilja Richter: Pointiert und mit sichtbar viel Vergnügen an der Klamotte ist er sicherer Dreh- und Angelpunkt des Abends, ohne selbst gleich aufgesetzt klamottig zu spielen.

Nach knapp zweieinhalb Stunden haben die Liebenden sich doch gefunden; die Pause wurde kurzfristig gestrichen, was dem Drive der Produktion zugute kommt. Angeregt wird dieser Schwung auch aus dem Orchestergraben (musikalische Leitung: Steven Gross). Denn Sondheims Musik liefert zwar keine Hitsongs, aber doch eine heftig antreibende, unterhaltsame, zugleich aber auch höchst komplexe Komposition, die mit viel Ironie das musikalische Repertoire der Musicalshows wie auch der Monumentalfilme plündert und parodiert.

Im Foyer engagierte sich übrigens der Betriebsrat des Theaters des Westens gegen den kulturellen Kahlschlag in der Stadt. Mit vielleicht doch etwas allzu offensichtlich suggestiv formulierten Fragen will man von den Besuchern des Hauses unter anderem wissen, ob bei der Förderung von Kultur ein Unterschied zwischen „unterhaltender Muse“ und „ernster Muse“ gemacht werden solle. Auch wem es an diesem Premierenabend nicht gerade danach war, sich mit Helmut Baumanns Truppe „wie Bolle“ zu amüsieren, der kringelte trotzdem auf dem Fragebogen solidarisch das „Ja“ an.

Die Reisebusse aus Herne und Gelsenkirchen werden bei den alten Römern auf jeden Fall ihren Spaß haben, der Theaterclub und meine Schwiegermama aus Braunschweig auch.

Bis 16.3., Di.–So., 20 Uhr, Theater des Westens, Kantstraße 12