Neues vom Bau Von Martin Sonneborn

Herrlich, wenn gegenüber gebaut wird! Was sind sämtliche denk- und hörbaren Nachteile einer Baustelle gegen die Möglichkeit, vom Schreib- oder Frühstückstisch aus unbemerkt den Bauarbeiter zu schauen und zu erforschen?

Ein Dreck sind sie. Ein zäher, trockener Dreck aus zwei Teilen Trass-Zement, einem Teil Kalk und drei Teilen Mischschmutz, der engagiert den Weg in die Wohnung findet und nur schwer wieder hinaus! Denn: Gibt es Schöneres, als – morgens um acht! – zu beobachten, wie in geschätzten sieben Meter Entfernung zwei Blaumänner aufs Dach schleichen, wie unauffällig vor einem Stromkasten verweilen, sichernd unter ihren gelben Helmen hervorlugen, um dann eine Flasche Apfelkorn herauszuzaubern und diskret um ein Pfund zu erleichtern? Nein. Beziehungsweise ja, klar doch! Denn irgendwann drängt natürlich der Apfelkorn wieder ans Tageslicht. Maurer und Polier gehen in solchem Fall an den Aufzugsschacht, nicht so der Kranführer, der sein Wasser dann direkt droben am Arbeitsplatz abschlägt und voll Vertrauen in die Hände der Schwerkraft empfiehlt.

Die leere Kornflasche hingegen nimmt den entgegengesetzten Weg. Wie fast jeder Baustellenanwohner weiß, führt nämlich auf den allermeisten Baustellen der Weg allen Leergutes nach oben: Wer zuletzt sich an der Flasche labte, feuert das Zeug durch eine Revisionsklappe auf die Deckenabhängung, wo es zum Bestandteil eines beachtlichen Flaschenberges wird, der auf den Bauplänen vieler Gebäude gar nicht verzeichnet ist.

Und nun zu etwas ganz anderem: zu Elementen, die stolz zwar in der Theorie vom Bauplan prangen, auf dem Weg der baulichen Realisierung aber den Anschluß an die übrigen entstehenden Wände, Türen, Dächer usf. verlieren beziehungsweise später einfach „nicht da“ (David Copperfield) sind. So wie das fehlende Zimmer einer Fünfraumwohnung in einem Marzahner Hochhaus. Zu gern hätten es die frisch eingezogenen Mieter mit geschmackvoll ausgewählten Gardinen, furnierten Regalen, Teppich, moderner Sitzgruppe (Stahlrohrrahmen) und verschiedenen raffiniert indirekten Beleuchtungsquellen ausgestattet; allein es war versteckt, verschwunden, blieb unauffindbar! Nach keiner der ungläubig durchgeführten Raumzählungen kam man auf eine Zahl höher als vier. Da aber der Mietzins nun mal für fünf Räume berechnet war, wurden schlußendlich die Baupläne beschafft. Und die wiesen ein Eckzimmer als existent aus, sogar mit Fenstern und einer Türe, zum bequemeren Eintritt. Nachdem die Mieter an der Stelle des eingezeichneten Zugangs einen erfolgreichen Durchbruchsversuch gestartet hatten, durften sie feststellen, daß sie ab sofort nicht nur um einen fünften Raum, sondern auch um ein paar Schaufeln und weitere am Bau geschätzte Handwerksgeräte, einen sehenswerten Vorrat an Leergut sowie eine ausgewachsene Zementmischmaschine reicher waren.

Wer schon einmal versucht hat, eine ausgewachsene Zementmischmaschine in ein Zimmer im zwölften Stock zu schaffen, das nur unwesentlich größer ist als diese, kann am besten ermessen, wie rein die Freude, ja Fassungslosigkeit der neuen Besitzer war! Soviel für heute vom Bau. Beziehungsweise von gegenüber.