„Ohne Hunni an die Uni“

In Baden-Württemberg boykottieren die Studierenden die geforderte „Einschreibegebühr“ von 100 Mark. Wissenschaftsminister Klaus von Trotha droht mit Exmatrikulationen  ■ Aus Stuttgart Markus Grill

Jedes Semester 100 Mark zum Teufel? „Ich bin doch nicht blöd“, sagt Julia Müller vom Vorstand des unabhängigen AStA der Uni Freiburg – und dieser Spruch prangt auch auf dem weißen T-Shirt, das sie derzeit trägt. Vergangene Woche war Studentenvertreterin Julia Müller „überglücklich“, weil mehr als 4.000 Studierende in Freiburg ihrem Aufruf gefolgt waren, gegen die Bildungspolitik der Stuttgarter Landesregierung auf die Straße zu gehen.

Auf Vollversammlungen bekundeten in Konstanz 1.000 und in Tübingen 2.000 Studierende gleichen Unmut. Für das örtliche Schwäbische Tagblatt war es gar die „größte Uni-Vollversammlung seit 20 Jahren“. Stein des Anstoßes für die Jungakademiker in Schwaben: Wissenschaftsminister Klaus von Trotha (CDU) hat den Plan seines Berliner Parteikollegen Peter Radunski kopiert und will künftig jedes Semester 100 Mark „Einschreibegebühr“ von allen 225.000 Studenten im Ländle kassieren. Dazu gibt es auch schon ein Landesgesetz. Das Geld soll aber nicht den Hochschulen zugute kommen, sondern direkt in den Landeshaushalt fließen. Im Gegenzug, so rechtfertigt das Stuttgarter Wissenschaftsministerium die Gebühr, soll der Hochschuletat etwas weniger gekürzt werden als ursprünglich vorgesehen („nur“ noch um 300 Millionen Mark). Wer trotz Mahnung die geforderten 100 Mark nicht bezahlt, soll exmatrikuliert werden. Von Trotha warnte am Dienstag: „Wer glaubt, ein demokratisch beschlossenes und sachlich gerechtfertigtes Gesetz durch einen Boykott aushebeln zu können, muß die Konsequenzen tragen.“

Genau darauf, auf den Boykott, bereiten sich aber die StudentInnen im Südwesten vor. „Ohne Hunni an die Uni“ heißt ihre Devise. „Ich sehe nicht ein, warum ich den Landeshaushalt sanieren soll“, so der Freiburger Geographiestudent Christian Gerwing. „Wer weiß, was da noch für ein Rattenschwanz nachkommt.“

Seine Befürchtung teilen viele: Aus den 100 Mark Einschreibegebühren könnten flugs 1.000 Mark Studiengebühr für alle werden. Minister von Trotha hat schon mehrfach öffentlich seine Neigung dazu bekundet – lediglich fürs kommende Semester wolle er Studiengebühren noch ausschließen. Landesweit lehnen Studentenvertreter aber einen solchen „sozialen Numerus clausus“ ab, da er die Bildungsfreiheit abschaffen würde. In den Einschreibegebühren sehen viele deshalb nur eine Salamitaktik auf dem Weg zu den richtigen Gebühren. Bernd Treumann, 27, Schulmusikstudent in Freiburg, sagt: „Studiengebühren wären das Ende einer tollen Sache, die wir in Deutschland haben: nämlich das Recht auf Chancengleichheit.“

Ungewöhnlich hoch ist derzeit im Ländle die Bereitschaft, die Semestergebühr zu boykottieren. Nach dem gescheiterten Berliner Protest (siehe Kasten) haben sich die Studentenvertreter in Baden- Württemberg ein Modell ausgedacht, das mehr Erfolg bringen könnte: das Treuhandkonto.

Die ASten der meisten Unis haben inzwischen ihre Kommilitonen dazu aufgerufen, den normalen Semesterbeitrag („Sozialgebühren“) von meist rund 60 Mark wie üblich zu bezahlen, die zusätzlich geforderten 100 Mark aber nicht an das Studentenwerk zu überweisen, sondern auf ein Treuhandkonto des AStA. Haben bis zum letzten Rückmeldetermin weniger als ein Drittel (an manchen Unis die Hälfte) der Kommilitonen auf das Treuhandkonto eingezahlt, wird das Geld direkt an die Hochschule überwiesen. Haben mehr bezahlt und ist das Quorum erfüllt, bleibt das Geld bis zum Ende der Mahnfrist auf dem Treuhandkonto liegen. „Das Ministerium kann schließlich nicht über ein Drittel aller Studenten exmatrikulieren“, sagen die ASten und setzen darauf, mit dem Ministerium verhandeln zu können. Ausgenommen vom Boykott sollen Erstsemester und ausländische Studierende, die die Immatrikulationsbescheinigung dringend für ihre Aufenthaltsgenehmigung benötigen.

Das Treuhandmodell unterscheidet sich von Hochschule zu Hochschule: In Freiburg haben Vollversammlungen von Universität und Pädagogischer Hochschule ein relativ hohes Quorum mit 50 Prozent Boykottbeteiligung beschlossen. Karlsruhe verweigert die Semestergebühr, wenn am Stichtag 24. Februar mindestens 5.555 von insgesamt mehr als 17.000 StudentInnen aufs Treuhandkonto überwiesen haben. Heute wollen dort Studentenvertreter die Treuhand-Kontonummer in einem Festakt veröffentlichen. An der Uni Tübingen wollen Studierende die Gebühr verweigern, wenn mindestens 6.000 von insgesamt 24.000 Kommilitonen aufs Treuhandkonto einzahlen. In Heidelberg wird eine neue Vollversammlung über die Durchsetzung des Boykotts befinden, wenn 8.000 von insgesamt 29.500 StudentInnen aufs AStA-Konto eingezahlt haben. In Stuttgart, wo seit vorgestern die Rückmeldefrist läuft, hat eine von 1.500 Studierenden besuchte Vollversammlung ebenfalls ein Quorum von 33 Prozent beschlossen. Danach setzen die Studenten der Landeshauptstadt auf hartnäckiges Verhandeln mit dem Wissenschaftsministerium. Treuhandkonten gibt es außerdem an den Universitäten Hohenheim und Mannheim.

Protest regt sich aber nicht nur an Unis, sondern auch an Pädagogischen Hochschulen, deren Rückmeldefristen schon früher angelaufen sind, und die deshalb auch schon mit ersten Erfolgsmeldungen aufwarten. An der PH Heidelberg haben mittlerweile 500 von 4.000 StudentInnen ihre 100 Mark aufs AStA-Konto bezahlt. Sie wollen die Rückmeldefrist bis zum allerletzten Termin ausnutzen – wie's dann weitergehen soll, weiß man dort noch gar nicht. „Das hängt auch davon ab, wie der Boykott an den anderen Hochschulen läuft“, so Studentenvertreterin Carmen Hofmeister.

An der PH Schwäbisch Gmünd ist die Rückmeldefrist bereits vergangenen Dienstag abgelaufen. Hier hatten von insgesamt 1.600 Studierenden 900 die Gebühr noch nicht bezahlt und wollen ebenfalls erst alle Mahnfristen ausreizen. Am Dienstag vergangener Woche hatten die Gmünder Studierenden das Wissenschaftsministerium mit „Telefonterror“ überzogen und von 8.15 Uhr bis 11 Uhr ständig auf allen möglichen Apparaten angerufen, bis der Minister (Studentenspitzname derzeit: „Klaus von Trottel“) genervt ausrichten ließ, er sei bereit, eine Studentendelegation zu empfangen. An der PH Karlsruhe endete gestern die Rückmeldefrist – etwa 20 Prozent der Studierenden sind hier noch mit ihrer Zahlung säumig. Die kleineren PHs im Ländle wie Reutlingen, Weingarten und Ludwigsburg organisieren keinen Boykott.

Die SPD-Opposition im Stuttgarter Landtag unterstützt die Proteste der Studenten gegen die Einschreibegebühr. SPD-Abgeordnete Carla Bregenzer: Die Gebühr „ist die bislang größte Unverschämtheit der CDU/FDP-Landesregierung gegenüber den Studierenden“.