■ Ein Rind aus einer kleinen Herde der urigen Galloway-Rasse eines deutschen Bauern ist am BSE-Erreger gestorben. Zehntausend Rinder sollen jetzt notgeschlachtet werden. Die gesamte Biobranche droht in Verruf zu kommen. Zu Unrecht?
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Ein Rind aus einer kleinen Herde der urigen Galloway-Rasse eines deutschen Bauern ist am BSE-Erreger gestorben. Zehntausend Rinder sollen jetzt notgeschlachtet werden. Die gesamte Biobranche droht in Verruf zu kommen. Zu Unrecht?

Die gehörnten Biobauern

Mit Kampagnen wie „Gourmets für die Natur“ wollten Biobauern und Naturschutzverbände in Deutschland für Fleisch aus ökologischer Weidehaltung werben. Die BSE- Krise sollte den über 5.000 organisierten Biobauern helfen, den schleppenden Verkauf von artgerecht erzeugtem Fleisch voranzutreiben. Und nun diese Hiobsbotschaft: BSE-gefährdet sind in Deutschland vor allem die urtümlichen Rassen wie die Galloway- Rinder. Bei dem jüngsten BSE- Fall in Höxter ist die Seuche sogar eventuell von der britischen Mutter auf das gestorbene Tier übertragen worden. Bundeslandwirtschaftsminister Borchert plädierte gestern für eine Massenschlachtung: Alle noch lebenden 3.000 aus Großbritannien stammenden Rinder und ihre 7.000 hier geborenen Nachkommen sollten getötet werden. Zum Vergleich: 15 Millionen Rinder halten deutsche Landwirte insgesamt.

Der Hof des betroffenen Züchters war kein eingetragener Biobetrieb. Und bei den Mitgliedern der Bioverbände stehen auch nur wenige Rinder aus Schottland oder Wales im Stall oder auf den Weiden. Bei Bioland, der die Hälfte der deutschen Biobauern unter seinen Fittichen hat, sind es 40 von circa 30.000 Tieren. Vor allem Hobbyzüchter, die sich am urigen Anblick der Zottelviecher wie Galloway, Schottischem Hochlandrind oder Welsh Black erfreuen, halten sich die genügsamen Rasenmäher. Und alle fünf bisherigen BSE-Fälle in Deutschland stammten aus solchen widerstandsfähigen Rassen.

Den VerbraucherInnen ist nur schwer beizubringen, daß fast alle Biobauern Rindfleisch aus deutschen oder französischen Rassen verkaufen. Sie kaufen Bio, weil es sicher gut für sie und die Natur ist, nicht nur fast sicher. Da reicht es vielleicht nicht fürs Wohlfühlen, wenn den Briten schon seit 1990 der Export verboten ist und früher nach Deutschland verfrachtete Wiederkäuer nicht verkauft werden dürfen. Christoph Winkler von der Gesellschaft für ökologische Tierhaltung weist darauf hin, daß bei den deutschen Bioverbänden die Fütterung von Tiermehl von Anfang an verboten war. „Nicht wegen BSE, sondern weil wir das bei Pflanzenfressern für artfremd halten.“ Doch die von Liebhabern importierten Briten-Galloways könnten vor dem Export noch einmal im Stall der Züchter mit dem eiweißreichen Tiermehl-Kraftfutter aufgepeppt worden sein. Das Kraftfutter wiederum könnte infiziert gewesen sein. In den schottischen Hochländern oder den walisischen Bergen kriegen sie jedenfalls kaum Kunstfutter zu Gesicht. Deshalb sind in Großbritannien nur 16 BSE-erkrankte Galloway- Rinder bekannt.

Die Verunsicherung bei den Kunden, aber auch bei den Züchtern bleibt. Wenn die Krankheit auf noch ungeklärtem Weg von der Kuh auf das Kalb übertragen wird, müßten alle Tiere von der Insel und ihre Nachkommen mindestens der ersten Generation umgebracht werden. Darüber berieten gestern bis zum Abend allerlei Experten von Bund und Ländern.

Dabei müssen Entscheidungen über das Leben von Tausenden von Rindern gefällt werden auf Grund einer äußerst dürftigen Datenlage. Der jüngste BSE-Fall in Höxter ist ein typisches Beispiel. Von einem niedersächsischen Viehhändler aus Löningen ist das Muttertier der jetzt an BSE erkrankten Kuh einst aus Großbritannien importiert worden. Es landete in einem Betrieb in Mecklenburg-Vorpommern, begegnete dem deutschen Bullen „Novum“ und gebar ein Kalb. Der Bauer ging später pleite und verkaufte das Muttertier anscheinend an einen Niederländer, das Jungtier an einen Viehhändler in Bayreuth. Von dort kam es nach Höxter.

Aber ist es wirklich die Tochter der britischen Mutter? Nordrhein- Westfalens Umweltministerin Bärbel Höhn spekulierte in einer Presseerklärung gestern sogar mit der Möglichkeit, daß das gestorbene Tier die Mutter ist, und nicht das Kalb: Im Ohr des toten Tieres gebe es ein zweites Loch für die obligatorische Ohrmarke – vielleicht wurde die Kuh umdeklariert.

Ohne Herkunftsurkunde ist die Altersbestimmung bei Rindern schwierig. Wenn sie ausgewachsen sind und ihre letzten Zähne hervorgebrochen sind, ist der Unterschied zwischen einem vierjährigen Galloway wie dem gestorbenen und einem achtjährigen wie dessen Mutter gering.

Trotzdem muß auch nach der Meinung von Detlev Küttler, Seuchenreferent des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums, etwas getan werden. „Nach einem ersten Fall in Schleswig- Holstein hatten in den Jahren 1992 bis 1994 bei uns in Niedersachsen drei Galloway-Rinder BSE“, sagt er. Ganze Herden wurden nach diesen BSE-Fällen allerdings nicht getötet. „Geschlachtet und anschließend beseitigt wurden nur die Rinder, die zusammen mit den BSE-infizierten importiert worden waren, und weitere 72, die aus englischen Risikobeständen stammten.“ Allein in Niedersachsen werden allerdings zur Zeit 3.800 englische Fleischrinder gehalten, darunter 2.300 Galloways. In den Herden fänden sich inzwischen kaum noch selbstimportierte Rinder, sondern überwiegend Nachkommen von Importtieren.

Inzwischen plädiert Seuchenreferent Küttler allerdings für eine Massentötungsaktion. Ihm bereitet vor allem Sorgen, daß bisher eine BSE-Erkrankung des Muttertieres nicht bekanntgeworden ist. „Es wäre eher eine Erleichterung, wenn auch das Muttertier an BSE erkrankt ist.“ Daß die Krankheit in Einzelfällen von der Kuh auf das Kalb übertragen werden kann, sei hinlänglich bekannt. Wenn allerdings die Kuh Abwehrkräfte gegen BSE entwickelt und ihr Kalb infiziert hat, ohne selbst krank zu werden, wird künftig die Eingrenzung der Seuche weitaus schwieriger. Reiner Metzger/Jürgen Voges