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Ein Fisch namens Reineke Fuchs

■ Sexkasperle für Twens: Goethes Fabel von Reineke Fuchs in einer reichlich kurzatmigen Bearbeitung von Hartmut Mechtel im Theater O.N. am Kollwitzplatz

Was macht eine ganze Generation von Mittzwanzigern, der die Arbeitswelt keinerlei Anreize zum Erwachsenwerden bietet, im Theater? Sie guckt sich in der Volksbühne Erwachsenenstücke für Kinder an. Oder sie besucht die Abendvorstellungen der Kindertheater.

Zum Beispiel das szenemäßig günstig am Kollwitzplatz gelegene Theater O.N., wo „Reineke Fuchs“ gespielt wird, eine Geschichte von drolligen Fabeltieren und ihrem putzigen Hofstaat. Es ist auch eine Geschichte von List und Herrschaft, Fressen und Gefressenwerden, vom Triumph berechnender Brutalität. Aber das vergißt man hier bald.

Goethes in Versen gehaltene epische Fassung des alten Stoffs ist verquickt mit einem Reineke- Stück des Schauspielers Hartmut Mechtel, der in einer Doppelrolle sowohl als Löwenkönig Nobel als auch als Wolf Isegrim auftritt. Statt um Politik geht es um Beziehungsprobleme: Womanizer Reineke (Günther Lindner) liebt seine Frau Ermelyn, geht fremd mit der Wölfin Gieremund (Anja Michaelis) und flirtet mit der vergnügungssüchtigen Königin (Uta Schulz). Die Frauen haben also wesentlich mehr zu melden als bei Goethe, sie stehen für Sinnlichkeit und Lebensfreude, und doch läßt einen Ermelyns gewaltiger Eifersuchtsschrei ebenso kalt wie Gieremunds akrobatische Erotik.

Die Darsteller zappen sich durch ihre Rollen: Werner Hennrich ist Bärentolpatsch, scheuer Dachs und stotternder, schlotternder, vor Angst prustender Hase; die Füchsin (Melanie Florschütz) wird zur Äffin mit starrem Affenschwanzgesicht.

Wie im Kindertheater sind viele Rollen nur die Summe von Gags. Hastig reiht die Regisseurin Gabriele Hänel szenische Momente aneinander. Madrigale werden gesungen, man trommelt und rapt Hexameter, zitiert aus „Hamlet“ und „Ein Fisch namens Wanda“, als stünde hinter allem die große Angst, das juvenile Publikum könnte gelangweilt davonschlendern, wenn nur ein Augenblick der Stille einkehrt.

Aber gerade diese Kurzatmigkeit ist lähmend. Viele gut gedachte, gut gespielte Szenen stehen beliebig nebeneinander, eine mühsame Verschwendung von Einfällen ohne jede Leichtigkeit. Der enorme körperliche Einsatz der Schauspieler, deren Schweiß im ganzen kleinen Theater zu riechen ist, läuft ins Leere. Reineke in der Tretmühle, Häschen in der Grube. Bald kommt das Sandmännchen zu den großen Kindern. Miriam Hoffmeyer

Bis 26. Januar täglich 20 Uhr im Theater O.N., Kollwitzstr. 53, Prenzlauer Berg

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