Das Messer bitte tiefer rein

Wütend und hilflos diskutieren Bauern auf der Grünen Woche über ihre düstere Zukunft als Rinderhalter. Ein Umdenken zeichnet sich trotz BSE bisher nicht ab  ■ Von Manfred Kriener

Norbert Wilke ist aufgeregt. Brandreden vor großem Publikum ist er nicht gewohnt. Die Stimme zittert ein wenig. Verunsichert blickt er um sich, entschuldigt sich gleich zweimal für seine Heftigkeit. Doch der Geschäftsführer der südbrandenburgischen Erzeugergemeinschaft „Fläming-Fleisch“ muß seinem Ärger Luft machen. Eher würde er sein ganzes Geld in die wacklige Telekom-Aktie stecken, als weiter in die Bullenmast zu investieren, schnaubt er. Seinen Kollegen könne er nur einen einzigen Rat geben: „Keine Mark mehr für den Rindersektor.“

Am liebsten würden ihm die Bauern schon jetzt applaudieren, doch Wilke ist noch nicht fertig. Jeder Fernsehbericht zeige nur kranke Tiere, die immer gleichen Archivbilder von wackligen Kühen, die sich in die Köpfe der Betrachter einfressen. „Und die Zuschauer konsumieren den ganzen Horror.“ Wohliges Gruseln beim Feierabendbier. Wenn es nach diesen Berichten ginge, sagt Wilke, dann „sind wir lauter heimtückische Viehhalter, die nichts anderes tun als Leute umbringen.“ Stürmischer Applaus.

Die Mäster machen Miese, fürs Töten zahlt die EU...

In Raum 7 des Berliner ICC sind die Verlierer versammelt. „Wie geht es weiter mit der Rindermast?“ heißt ihre Veranstaltung auf der Grünen Woche. Am Tag zuvor ist der fünfte deutsche BSE- Fall bekannt geworden, der jetzt bleischwer über der Diskussionsrunde liegt. Er betrifft zum ersten Mal ein in der Bundesrepublik geborenes Rind. BSE ist heimisch geworden.

Viele lassen die neue Dramatik noch nicht an sich ran. „Das muß erst noch bestätigt werden, das ist nur ein Verdacht“, heißt die defensive Auskunft. Das gleiche sagt der große Chef: Vor dem Eingang zur „größten Landwirtschaftsschau der Welt“ zersägt der ewige Bauernvorsteher Freiherr Heereman einen auf den Grill gespießten Jungbullen und verteilt umsonst und draußen tausend Portionen „sicheres deutsches Rindfleisch“. „Vertrauensbildende Maßnahme“ nennt das der routinierte Medienprofi Heereman und macht beim Schnitzelschneiden Männchen für die Fotografen. „Das Messer bitte noch ein bißchen tiefer rein!“ Keine Positur ist ihm zu dumm.

Während Heereman den Journalisten draußen mit Partyschürze mageres Bullenfleisch und ofenfrische Brötchen serviert, kriegt die Journaille drinnen ihr Fett ab. Eberhard Lux von der Edeka- Handelsgesellschaft Berlin-Brandenburg ist nicht nur mit der zuweilen mangelhaften Zartheit der Edelbratteile aus deutschen Mastrindern unzufrieden, die den „Verzehrgenuß im Steakbereich“ empfindlich senken. Er ist vor allem auf die Medien schlecht zu sprechen. „Wir alle müssen enger zusammenrücken“, fordert er Bauern, Schlachter und Vermarkter auf. „Wenn in Nordrhein-Westfalen ein Rind erkrankt, dann darf das nicht diesen Flächenbrand in den Medien geben.“

Die Rinderepidemie treibt nicht nur Mäster und Schlachter in den Ruin. Auch die Handelsketten, die sich vertraglich gebunden haben und von großen Erzeugergemeinschaften beliefert werden, erleben dramatische finanzielle Einbußen durch den Preisverfall beim Rindfleisch. In seiner Hilflosigkeit greift Lux zum probaten Mittel: mit den Medien reden! Dafür sorgen, daß die endlich mehr positive Dinge berichten. „Unser ganzes Engagement, unsere tägliche Arbeit, unsere vielen Kontrollen bis zur Ladentheke – das kommt nicht rüber.“ Auch Lux erhält kräftigen Applaus.

Da spricht nicht nur ein abgezockter Vermarkter, dem die roten Zahlen im Kreuz sitzen. Da redet einer den Bauern aus dem Herzen. All die Wut und Empörung, die den ICC-Saal manchmal fast platzen lassen, um sich dann im penibel geordneten Gestühl bis zum nächsten Ausbruch wieder zu verlieren – sie sind ja nicht unberechtigt. Gerade mal fünf Mark kriegen die Bauern noch für ein Kilo Bullenfleisch. Der Rindfleischmarkt war regelrecht zusammengebrochen und jetzt – nach dem neuen deutschen BSE-Fall – wird er erneut wegsacken.

Auch die besten der 620 brandenburgischen Mäster konnten in den letzten Jahren nichts verdienen. Von 1990 bis 1996 hat sich die Zahl der Mastbestände in Brandenburg mehr als halbiert. „Früher hat man Kälber geopfert – heute opfert man Bauern“, ruft Biolandwirt Willie Zachert eisig dazwischen. Ein Raunen geht durch den Saal, unterbricht für einen Moment die Referenten und signalisiert freudige Zustimmung. Endlich sagt's mal einer.

„Gewinnbeitrag je Tier: minus 76 Mark“, steht auf der Overheadtabelle, die von Margret Rotteis an die Wand geworfen wird. Derzeit ist „bei mittlerem Produktionsniveau keine rentable Rindermast möglich“, analysiert die Landwirtschaftsexpertin kühl. Einzige Chance für die Bauern: Noch mehr „Leistung“. Die sogenannte Masttageszunahme soll weiter erhöht werden. Auf deutsch: Die Tiere sollen noch schneller zu ihrem Schlachtgewicht getrieben werden. Eiweißmaschinen als einzige Überlebenschance. Die BSE- Krise bringt nicht die erhoffte Besinnung und Besserung, sie sorgt für eine deutliche Verschlechterung der Haltungsbedingungen für Rinder.

Während die Bauern immer tiefer in die roten Zahlen rutschen und nicht nur in Berlin und Brandenburg um Haus und Hof und ihre Existenz kämpfen, ist der „Rinderwahnsinn“ zur Lieblingsvokabel der bundesdeutschen Zeitungen avanciert. „Rinderwahnsinn – das große Schlachten“, schreit Bild am Mittwoch. Mit kaum einem anderen Begriff kann man solch zugkräftige Überschriften machen. Auflage statt Aufklärung. Die Situation der Mäster, die Entwicklung der Rinderbetriebe, sie bleiben außen vor. Und wo in all den Berichten und Sendungen über „tödliches Fleisch“, Rinderverbrennungsöfen und EU- Schlachtplänen ist auch nur ein Fünkchen Mitleid mit der Kreatur zu spüren?

Halt! Es gibt tatsächlich noch einen Hort der Tierliebe: Halle 25 der Grünen Woche. Je wilder die Skandale toben, desto kuschliger liegen Kälbchen Peter und Sau Sieglinde hier im Stroh. Fit und friedlich grunzen die gescheckten Ferkel dem Besucher entgegen. Hier wird bäuerliche Romantik mit modernem Agro-High-Tech versöhnt. Glückliche Tiere aus Embryonentransfer, unverfälschtes computergesteuertes Landleben. Der Truthahn kollert, das Zicklein meckert, und die Kuh zeigt fernab von BSE ihr pralles Euter. Hier gibt es keine Löcher im Hirn, hier gibt es höchstens welche im Geldbeutel, wenn die Besucher am Ende ihres Rundgangs zum Schäfchenstreicheln antreten.

Nach litauischen Pralinen, Südtiroler Schüttelbrot und Fernitzer Germknödel, nach koreanischer Glasnudelpfanne, australischem Känguruhgulasch und niedersächsischer Bregenwurst, nach Holzschuhschnitzen, Gläschen-Wein- Probieren und Loseziehen ist dies die traditionell letzte Station. Hier kann das Abziehbild der Landwirtschaft besichtigt werden, der letzte intakte Kuhstall der Republik.

Immerhin: Ein kleiner Fortschritt ist zu vermelden. Der Zuchtbulle, der unter johlendem Gefeixe der Berliner Meute auf eine hölzerne Kuhattrappe steigt und seinen Samen coram publico verspritzt, er ist in diesem Jahr nicht gesehen worden.

Während Kälbchen Peter in seinem Gatter das Fläschchen bekommt, diskutiert die ICC-Runde mit roten Köpfen die „Herodesprämie“. Dieses Kopfgeld bezahlt das Vereinte Europa denjenigen Bauern, die ihre Kälber wenige Tage nach der Geburt totschlagen. „Ethisch unhaltbar“ sei das, schimpft Hans Gotthardt vom mecklenburgischen Gut „Ferdinandshof“. Bezahlt wird allerdings nur in bestimmten Ländern, weshalb die deutschen Bauern ihre Kälber zum Töten nach Frankreich verkaufen. Die Alternative zum Schußbolzen ist vor allem für die Milchviehbauern wenig verlockend. Die männlichen Kälber ihrer ganz auf Milchleistung getrimmten Schwarzbunten werden immer mehr zum Entsorgungsproblem, da diese Rasse auf dem Fleischmarkt schlecht bezahlt wird. Sie hat kaum eine Chance, als Qualitätsfleisch in die lukrative Topkategorie eingestuft zu werden. Dann doch lieber gegen Prämie ab zur Tötungsstelle. Europa 1997.

... aber zum Streicheln ist noch Kälbchen Peter da

Der einzige Stand auf der Grünen Woche, der peinlich leer zwischen all den Freßbuden steht, gehört der Europäischen Union. Wenn man nur eine Minute lang den agrarpolitischen Debatten lauscht, weiß man auch, warum. „Strukturwandel“ nennen die Eurokraten das Bauernsterben. Milchsee heißt auf europäisch „Überhang trotz Milchmengengarantieverordnungsverfügung“ und der erbarmungslose Verdrängungswettbewerb wird wie folgt beschrieben: „Einige müssen aufhören, damit die anderen wachsen können“, so der niedersächsische Landwirtschaftsminister Funke.

Es ist spät geworden auf der Grünen Woche. Es ist die Zeit, da auf der Rettungsstelle des DRK „der Alkohol“ angeliefert wird, die schwer Betrunkenen. Nachmittags kommen sie stehend, abends liegend. In Halle 21 A wird die Bund- Länder-Schau „Leben auf dem Lande“ für heute geschlossen. Auch Kälbchen Peter kriegt jetzt seine Ruhe. Am Eingang dröhnt aus den Boxen US-Sängerin Roberta Flack: „Killing me softly“.