Der Schatten am Hals

Künstlerinnen in Berlin (II): Monique Thomaes, Medienkünstlerin, die aus einem unüberschaubaren Fundus schöpft und ihre Videos und Fotos, ihre Dia- und Lichtinstallationen als „Wahrnehmungsarbeiten“ versteht  ■ Von Cornelia Gerner

Ich möchte das Lebendige fixieren und das Tote zum Leben erwecken.“

Monique Thomaes mag diese Art von Zuspitzungen. Gerade geht es um „Blau-Äugig“, eine Installation, die letztes Jahr in einer Galerie in Knokke in Belgien zu sehen war. Das Basismaterial waren Fotos von Augen antiker Skulpturen, die mit Hilfe von Dia- und Videogeräten, Glas, Spiegeln und blauem Licht so manipuliert werden, daß sie wie lebendig erscheinen.

Die Idee sei ihr in der Abgeschiedenheit der Skulpturensammlung im Pergamon-Museum gekommen, erzählt die Künstlerin. Nahezu jede Minute fährt eine S-Bahn an den zwölf Fenstern des Antikensaales vorbei: Diese Situation zwischen dem Außen- und Innenraum, die Bewegung hinter den reglosen, „wie im Traum verlorenen“ Figuren, habe sie sehr berührt.

Eine andere Arbeit heißt „V- IVRE“. Sie zeigt per Video das Atmen von Monique Thomaes als Schattenspiel ihres sich hin und her bewegenden Halses. Durch eine doppelte, zeitversetzte Wiedergabe der Aufzeichnung entsteht ein sich ständig verändernder pulsierender Rhythmus zwischen dem Ein- und dem Ausatmen.

Die Künstlerin beschreibt ihre Videos und Fotos als „Wahrnehmungsarbeiten“. „Manche Leute lassen sich darauf ein, sprechen darüber. Andere gehen schnell wieder weg.“ In der Parochialkirche, wo sich die Künstlerin zehn Tage lang aufhielt, um ihre Installation „Au lieu de“ zu bewachen, konnte sie die Reaktionen der Besucher gut beobachten. Monique Thomaes ist Belgierin, spricht aber mit einem unüberhörbar holländischen Akzent. Immerhin hat sie zwanzig Jahre in Holland gelebt, bevor sie vor acht Jahren nach Berlin umgezogen ist. „Eine schwere Entscheidung. Ich mußte alles aufgeben. Atelier, Kontakte, Freunde.“

Wenn sie erzählt, vermag man ihrem Tempo kaum zu folgen. Ja, sie sei geizig mit ihrer Zeit und manchmal auch sehr ungeduldig. Sie hat spät angefangen – erst mit 31 Jahren, nach der Geburt ihres dritten Kindes. Ihr Bildhauerei-Studium absolvierte Monique Thomaes an der Vrje Akademie Den Haag, wurde Assistentin im Bereich Metall und machte 1985/86 eine Künstlerweiterbildung an der Akademie Rotterdam. Seither lehrt sie, so zur Zeit auch an der Hochschule der Künste in Berlin.

Die Künstlerin zeigt Fotos von früheren Arbeiten: Objekte aus Glas, Stahl und Holz. Anfang der neunziger Jahre hat sie dann diese Form der künstlerischen Auseinandersetzung mehr und mehr in Frage gestellt. „Ich konnte das Objekt als Objekt nicht mehr schätzen. Es war entweder zuviel oder zuwenig.“ So ist sie über ihre Arbeit mit Glas zu den Spiegeln gekommen, die Spiegel haben sie zum Licht geführt, und das Licht zur Fotografie. Ihr Weg zum Raum.

„Zur Zeit ist das Atelier umgeräumt. So daß man was sehen kann.“ Die Ankaufskommission des Senats ist dagewesen. Trotz der schlechten Zeiten will man eine Arbeit kaufen. Auf einem Podest stehen, säulenartig eingerollt, großformatige Fotos von antiken weiblichen Skulpturen. Daneben, auf Stützen, ebenfalls in großen Formaten, aufgezogene Fotos zu „V-IVRE“. „Normalerweise ist mein Atelier ein Fotolabor. Da hinten, wo jetzt das Videogerät aufgebaut ist, hab' ich meine Dunkelkammer.“

Es sei unglaublich, wieviel Material sie habe, aus dem sie noch etwas machen müsse. Sie legt ihre Hand auf einen Stapel Diakästen. „Alles, was ich mir vornehme, bearbeite ich mehrfach. Ich filme die Fotos ab, und von den Fotos mache ich wieder Filme. Ich vergrößere und verkleinere, suche immer weiter, um so genau wie möglich den Ausdruck zu finden, um das gleiche immer weiter zu vertiefen.“ Wie bei einer Spirale. Neulich hat ihr jemand gesagt, das sei ja „Recycling“. Auch damit kann sie sich anfreunden.

Seit 1984 hatte Monique Thomaes zahlreiche Ausstellungen in Belgien, Holland und Deutschland, in Galerien, alternativen Räumen und in Museen. Zuletzt war eine Arbeit von ihr im August und September anläßlich der Ausstellung „Contrapartida“ im Kunstspeicher Potsdam zu sehen.

Die Ausstellung zeigte Ergebnisse eines Workshops, zu dem sich brasilianische, Berliner und Brandenburger Künstler zusammengefunden hatten. „De passage“ hieß die Lichtinstallation. Drei Diaprojektoren warfen weißes und blaues Licht an eine etwa sieben Meter entfernte Wand. In ruhigem Rhythmus wurde das Blau vom Weiß und das Weiß vom Blau überblendet, wobei Blau und Weiß in unterschiedlichen Anordnungen immer synchron zu sehen waren. Daraus ergab sich eine leichte Bewegung: vor und zurück, der Raum „atmete“.

Gleichzeitig wanderte das Muster eines blau verglasten Fensters über den Boden und veränderte sich im Lauf des Tages, je nach Sonnenstand. Der Titel „De passage“ meinte die Vorübergehenden, aber auch das wandernde Licht und die Arbeit, die nur für diesen Ort gemacht war. „Und mich. Auch ich war hier am ,vorbeigehen‘. Ich wollte diesen Ort nicht kaputt machen, sondern streicheln.“