In Israel droht ein echtes „Bibi-Gate“

■ Der „größte Korruptionsskandal in der Geschichte des Staates“ könnte für Netanjahu ernste Folgen nach sich ziehen

Jerusalem (taz/dpa) – Die mißglückte Ernennung eines Rechtsberaters und Staatsanwalts der israelischen Regierung schlägt weiterhin hohe Wellen. Nach bisherigen Enthüllungen von Journalisten soll der unter Anklage stehende ehemalige Innenminister und Führer der orthodoxen Schas- Partei, Arie Deri, versucht haben, eine ihm genehme Person auf den Posten zu hieven und dafür Vorteile in seinem Prozeß zu erkaufen. Nach einem Aufschrei in Parlament und Öffentlichkeit hatte der nominierte Kandidat, der Rechtsanwalt Roni Bar-On, postwendend seinen Rücktritt eingereicht.

Als „kompletten Unsinn“ und „Lügen“ hat der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu Meldungen bezeichnet, denen zufolge Korruption an höchster Regierungsstelle bei der Bestellung des Generalstaatsanwalts Roni Bar-On im Spiel war. Nach israelischen Medienberichten bereiten Staatsanwaltschaft und Polizeispitze jedoch inzwischen eine Untersuchung des Falles vor, der in Anlehnung an Netanjahus Spitznamen „Bibi“ von Oppositionspolitikern inzwischen als „mögliches Bibi-Gate“ bezeichnet wird. Auf einer Kabinettssitzung sprach sich Netanjahu gestern unter dem Druck der Öffentlichkeit dann ebenfalls für eine Untersuchung der Vorwürfe aus.

Die Angelegenheit gewann zusätzliche Brisanz, als gestern bekannt wurde, daß Arie Deri, Chef der orthodoxen Schas-Partei, die Teil der Regierungskoalition ist, Rücktrittsabsichten hegt. Deri soll den politisch-religiösen Mentor der Schas-Partei, Rabbiner Ovadia Josef, um die Entbindung vom Parteivorsitz gebeten haben.

Nach Angaben des israelischen Fernsehens, das eine zuerst am Mittwoch abend gesendete Meldung weiterhin aufrechterhält, spielt Deri eine entscheidende Rolle in der Affäre. Deri, dem seit etwa zehn Jahren vorgeworfen wird, als Minister früherer Regierungen Bestechungsgelder angenommen und Finanzen und Land an politisch Nahestehende vergeben zu haben, soll die Zustimmung seiner Partei zum kürzlichen Hebron-Vertrag der Israelis mit den Palästinensern von der Bedingung abhängig gemacht haben, daß die Regierung einen ihm und Schas genehmen neuen Generalstaatsanwalt einsetzt. Dieser Posten war vakant. Er wurde mit dem Likud- Mann Roni Bar-On besetzt – allerdings nur für einen Tag.

Nach stürmischen Protesten, die sich an seiner juristischen Qualifikation entzündeten, war Bar-On wieder zurückgetreten. Vor allem die Opposition fordert nun eine Untersuchung, die herausfinden soll, ob die Meldung des Fernsehens stimmt, nach der Schas-Chef Deri mit Bar-On vor dessen Einsetzung einen Handel abgeschlossen hat, das Verfahren gegen ihn abzukürzen, wenn er seine Amtsberufung erfolgreich betreibe. Bar-On bestreitet alle Absprachen mit Deri. Deri selbst sagte der Zeitung Haaretz, er habe mit der Berufung Bar-Ons „nichts zu tun“. Sicher ist jedoch, daß Justizminister Zachi Hanegbi einen anderen Rechtsanwalt für diesen Posten nominieren wollte. Netanjahu soll jedoch an der Ernennung Bar-Ons festgehalten haben. Die Meretz- Opposition spricht deshalb vom „größten Korruptionsskandal in der Geschichte des Staates, falls diese Geschichte stimmt“. Die Affäre ist noch nicht zu Ende.