Jüdische Anwältin gegen Widerständler

Vorstand der Jüdischen Gemeinde Berlin schützt eine Gemeinderätin, die Klaus von Dohnanyi bezichtigt, aus einer „prominenten Ariseurfamilie“ zu stammen. Ignatz Bubis ist entsetzt  ■ Aus Berlin Anita Kugler

Hans von Dohnanyis tragende Rolle im Widerstand ist Schulbuchstoff. Wenn am Montag, dem „Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus“, sein Sohn, der frühere Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, im Bundestag die Gedenkrede hält, wird man ihm Respekt zollen. Einen, der der gesamten Familie von Dohnanyi geschuldet ist. Um so peinlicher für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, daß eine bekannte Repräsentantin der Jüdischen Gemeinde in Berlin, die Rechtsanwältin Simona Reppenhagen, die von Dohnanyis kürzlich als „prominente Ariseurfamilie“ bezeichnete. Von dieser Äußerung haben sich bis heute weder der Vorsitzende der Berliner Gemeinde, der Holocaust-Überlebende Jerzy Kanal, noch die Mitglieder des Vorstands distanziert. Zu einer Entschuldigung hat man sich ebenfalls nicht aufraffen können.

Reppenhagen war zum Zeitpunkt ihrer Bezichtigung stellvertretendes Vorstandsmitglied. Seit einer Woche „ruht“ ihr Mandat auf eigenen Wunsch. Doch nicht, weil ihr der Fall Dohnanyi unangenehm wäre, sondern weil sie eine Presseerklärung auf Vorstandspapier verschickt hatte, in der sie Strafanzeigen gegen die Opposition im Gemeindeparlament ankündigte.

Der Vorfall geschah am 19. November 1996 auf einer öffentlichen Repräsentantenversammlung in der Jüdischen Gemeinde. Mitglieder der Gemeindeopposition warfen der Rechtsanwältin vor, mit unlauteren Methoden – konkret: einem nicht abgesicherten Investitionsvorrangverfahren – einen Restitutionsanspruch von Klaus von Dohnanyi auf ein Grundstück in Potsdam verhindern zu wollen. Und dies obendrein finanziell zuungunsten ihrer jüdischen Mandantin, einer Nachkommin der Familie, die das Grundstück 1939 zwangsverkaufen mußte.

Die Vorwürfe konterte Reppenhagen als „rufmörderische Kampagne“ und „Verleumdung“. Sie wollte ihre Mandantin nicht schädigen, sondern genau das Gegenteil erreichen. Denn: „Meine Mandantin hatte sich sowohl gegen die prominente Ariseurfamilie Dohnanyi als auch gegen eine gemeinnützige GmbH (auf dem Gelände gibt es seit 1946 einen evangelischen Kindergarten, Anm. d. Red.) zur Wehr zu setzen.“

Hans von Dohnanyi ein Ariseur? Der Mann, der zum engsten Kreis des Widerstands gehörte und führend an der Vorbereitung eines Staatsstreichversuchs im September 1938 beteiligt war, soll sich an zwangsverkauftem jüdischen Eigentum bereichert haben?

Ausgerechnet er, der später als Mitarbeiter im Amt Abwehr/Ausland im Oberkommando der Wehrmacht die Berichte seines Schwagers Dietrich von Bonhoeffer über die Judendeportationen an hohe Militärs weiterleitete, um sie zur Opposition gegen Hitler zu bewegen! Hans von Dohnanyi wurde im April 1943 wegen Hochverrats gemeinsam mit Bonhoeffer verhaftet und am 9. April 1945 nach einem SS-Standgerichtsverfahren im KZ Sachsenhausen ermordet.

Reppenhagens Diffamierung wäre folgenlos geblieben, wenn ein Mitglied der Gemeinde, der Anwalt Albert Meyer, sich nicht empört hätte. Er informierte Jerzy Kanal in zwei Briefen, daß die Anwältin Unwahrheiten verbreitet. Das betreffende Potsdamer Grundstück habe Hans von Dohnanyi zwei Jahre nach dem Zwangsverkauf des jüdischen Besitzers im Juli 1941 von einer Freifrau gekauft. Klaus von Dohnanyi habe sogar bei der Anmeldung seines Restitutionsanspruchs erklärt, daß die Ansprüche von Erben des ermordeten Erstbesitzers vorgehen.

Die Anschuldigung von Simona Reppenhagen sei darüber hinaus „keine einmalige Entgleisung“, sondern „vorsätzlich und wider besseren Wissens“ erfolgt. So habe sie schon früher Hans von Dohnanyi als „Nazirichter“ betitelt.

Besonders empörte Albert Meyer – inzwischen Anwalt von Klaus von Dohnanyi –, daß in den Reihen der Jüdischen Gemeinde die Ehre eines Widerstandskämpfers beschmutzt werden darf, der „nachweislich zwölf jüdischen Mitbürgern die Möglichkeit zur Flucht in die Schweiz verschaffte“. Es wäre eine „moralische Verpflichtung“ der Gemeinde als Körperschaft des öffentlichen Rechts, sich von den Äußerungen Reppenhagens zu distanzieren, schrieb er. Sonst werde das Ansehen der Jüdischen Gemeinde zu Berlin schwer geschädigt.

Der Gemeindevorstand hält dennoch weiter treu zu ihrem stellvertretenden Vorstandsmitglied. Deutlich entschuldigt hat sich hingegen Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er schrieb, nachdem ihm der Vorfall zu Ohren kam, an Klaus von Dohnanyi, daß er von „dieser Absurdität mit Schrecken gelesen habe“. Und weiter: „Es ist für mich völlig unverständlich, daß es hierzu seitens der (Berliner) Jüdischen Gemeinde bisher keine Reaktionen gegeben haben soll und daß die Auslassung ohne Proteste von seiten der Repräsentanz haben geschehen können.“

Weder der Brief von Bubis noch die des Anwalts Meyer und auch nicht ein persönliches Gespräch zwischen Klaus von Dohnanyi und Jerzy Kanal am 15. Januar in Berlin brachten den Vorstand zur Einsicht. Ohne Protest schluckten sie bei der Stunden später abgehaltenen Gemeinderatssitzung Simona Reppenhagens karges Statement. Sie habe, so las sie vom Blatt ab, mit den Formulierungen „keine Beleidigung der Familie von Dohnanyi beabsichtigt“. Den Begriff „prominente Ariseurfamilie“ habe sie nur als einen „rein juristischen Terminus“ gebraucht.

Inzwischen ist die ganze Geschichte nicht mehr eine „streng geheime Angelegenheit“, so wie es alle Beteiligten gerne gehabt hätten. Die unwidersprochene Diffamierung der Familie von Dohnanyi erboste den jüdischen Zuwanderer aus der Sowjetunion, A. Schneiderman, so sehr, daß er in seinem Nachrichtenblatt Samisdat – so genannt, weil die Gemeinde in ihrer eigenen Zeitung Umschau ungefähr so informativ ist wie die Prawda der Breschnew-Ära – einen offenen Brief verfaßte.

Wenn der Kampf von „Widerstandshelden“ wie von Dohnanyi Erfolg gehabt hätte, schreibt er dort, hätte nicht nur Jerzy Kanal den Holocaust überlebt, sondern „Hunderttausende – KZ-Häftlinge und Soldaten, die im letzten Kriegsjahr fielen – wären am Leben geblieben“.

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