Das Portrait: Karadzic' Kriegsideologe
■ Nikola Koljevic
Für die einen war er einer der schlimmsten Kriegsideologen überhaupt, für die anderen war er der weise Professor, der auf alle politischen Fragen eine Antwort wußte. Doch seit Samstag ist der ehemalige stellvertretende Führer der bosnischen Serben, Nikola Koljevic, tot. Er starb im Alter von sechzig Jahren an den Folgen eines Selbstmordversuches vor zwei Wochen.
Weshalb sich der bosnische Serbenführer das Leben nahm, ob aus politischen Gründen oder privaten Motiven, ist derzeit unklar. Der ehemalige Literaturprofessor und Shakespeare-Experte setzte sich fast auf die Stunde genau sechs Jahre nach dem Tod seines Sohnes eine Pistole an die Stirn und drückte ab. Der Sohn war an einer Überdosis Heroin gestorben.
Koljevic kam in der einst mehrheitlich muslimischen Region Banja Luka 1937 als Sohn eines Handwerkers zur Welt, absolvierte das Gymnasium und ging zum Studium nach Sarajevo. Der begabte Student begann eine steile Universitätskarriere, doch schon 1964 sah sich der ehrgeizige Jungakademiker eigenen Angaben zufolge von der politischen Klasse in Sarajevo benachteiligt – nur weil er Serbe gewesen sei. Damals habe er erkannt, so Koljevic 1991, daß die Serben Bosniens nur in einem eigenen bosnischen Staat leben könnten.
Zusammen mit Serbenführer Radovan Karadzic organisierte der Hochschuldozent den bewaffneten Aufstand gegen Sarajevo und wurde bald Vizepräsident der selbsternannten Bosnischen Serbenrepublik. Innerhalb der serbischen Führungsspitze hatte Koljevic den Ruf, der klügste Kriegsstratege zu sein. Ohne Umschweife erklärte er damals gegenüber dem britischen Guardian, das serbische Volk stehe in Bosnien vor dem „Sein oder Nichtsein“. Als britische Reporter ein Jahr später erstmals das Internierungslager Omarska besuchen konnten und schreckliche Einzelheiten über Massenvertreibungen und Massenerschießungen bekannt wurden, konnte es sich Koljevic nicht verkneifen, sein Konzept einer „Umsiedlung aller Nichtserben“ zu preisen. Auf die unmenschlichen Haftbedingungen und Greuelberichte angesprochen, antwortete Koljevic: „Ihr habt aber lange gebraucht, ihr Venedig-Touristen, bis ihr bemerkt habt, daß ein bißchen weiter östlich ein gar nicht romantischer Krieg wütet.“ Karl Gersuny
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