piwik no script img

Geballte Wut in Tirana

Nach dem Zusammenbruch von Pyramidenfonds in Albanien protestieren die Geprellten in vielen Städten des Landes  ■ Aus Tirana Thomas Schmid

Das Fußballstadion von Tirana ist der reinste Hexenkessel. Die Wut der 100.000 Leute, die am Sonntagmorgen in der albanischen Hauptstadt zusammengeströmt sind, entspricht ihrem Frust. „Saliha-Slobodan!“ schreien sie und setzen ihren Präsidenten Saliha Berisha seinem serbischen Amtskollegen gleich. „Ihr müßt handeln wie in Belgrad, wie in Sofia!“ krächzt der Redner auf der Tribüne. „Luschnje!“ echot die Menge. In der Kleinstadt Luschnje im Zentrum des Landes sind am Freitag das Rathaus, das Theater und das Polizeikommissariat in Brand gesetzt worden. Am Ortseingang wurde die Straße blockiert, und auch die Züge aus dem Norden mußten wieder umkehren. Seit zwei Tagen ist die südliche Hälfte des Landes vom Norden und der Hauptstadt abgeschnitten.

Als Ministerpräsident Aleksander Meksi seinen Außenminister Tritan Shehu an die Front schickte, wurde der von der aufgebrachten Menge gleich festgenommen, die ihn erst im Austausch gegen Rrapush Xhaferri wieder herausrücken wollte. Nach acht Stunden ließ man den prominenten Politiker dann doch laufen. Xhaferri ist zur Zeit wohl der populärste Mann Albaniens. Vor drei Jahren hatte er ein privates Geldinstitut gegründet, das traumhafte Zinsen von 300 Prozent in zwei Monaten anbot. Über 300.000 Kleinsparer haben ihr Geld bei Xhaferri angelegt – und nun hat die Regierung das Konto des Mannes gesperrt. Seine 255 Millionen Dollar bei der staatlichen Handelsbank sind blockiert. Xhaferri sitzt hinter Gittern, und das Volk fühlt sich betrogen.

Die Wut richtet sich nicht gegen Xhaferri, sondern gegen den Präsidenten und die Regierung. „Erst haben sie uns die Stimmen geklaut“, sagen viele in Erinnerung an den auch von der OSZE attestierten Wahlbetrug vom Mai des vergangenen Jahres – „und jetzt klauen sie unser Geld.“ Nein, wer hier im Stadion schlecht von Xhaferri redet, riskiert eine blutige Nase. Viele halten Zeitungsausschnitte mit seinem Foto hoch.

Der frühere Buchhalter hat es verstanden, die Herzen der einfachen Leute zu gewinnen. Er bezahlte den einen das Hochzeitsmahl, andere entschädigte er für ihr abgebranntes Haus. Vor allem aber kaufte er für den Fußballklub von Luschnje auf dem Weltmarkt einige Kicker ein: einen Brasilianer und zwei Nigerianer. Als Trainer holte er sich für 250.000 Dollar den Argentinier Mario Kempes, der bei der Weltmeisterschaft 1978 zum besten Fußballer gekürt worden war. Die Leute in Luschnje sind stolz auf ihren Klub, dessen Präsident der Sohn Xhaferris ist. Der wurde zusammen mit weiteren 110 Mitarbeitern des Finanzakrobaten nun ebenfalls eingebuchtet.

Am vergangenen Donnerstag beschloß die konservative Regierung, gegen die „Pyramiden“ vorzugehen und ließ vom Parlament ein Gesetz verabschieden, das den Pyramidenbau mit bis zu 20 Jahren Gefängnis bestraft. „Pyramiden“ heißen hier die Geldinstitute, die über astronomische Zinsen im Schneeballstystem riesige Geldmassen anlocken, mit denen sie zunächst diese Zinsen sogar bezahlen können. Daß dies auf Dauer nicht gutgehen kann, ist offensichtlich. Die Pleite ist dem System inhärent. Doch wer früh einzahlt und sich mit Zinsen auszahlen läßt, bevor die Pyramide kracht, kann sich schon ein kleines Vermögen zusammensparen, um eine Imbißbude zu eröffnen.

Als erster hat Hajdin Sejdia, ein damals in der Schweiz lebender Kosovo-Albaner, 1992 eine „Pyramide“ gebaut. Dann verschwand er. Immerhin hat er aber vor drei Monaten die 3,3 Millionen zusammengerafften Dollar an die Kleinsparer zurückgezahlt – inklusive Zinsen, jedoch nicht den versprochenen, sondern den in der Schweiz üblichen Zinssatz. Im Mai 1993 verschwand der Pyramidenbauer Blini, der sich 2,5 Millionen Dollar ergaunert hatte, dann Alexsander Grunasi mit 13 Millionen Dollar. Am 10. Januar gab die inzwischen inhaftierte Maksude Kadema, vom Volk beim Kosenamen „Sude“ genannt, ihren Bankrott öffentlich bekannt. Die Regierung fahndet nun nach den 80 Millionen Dollar, die 60.000 Albaner der 32jährigen Frau anvertraut haben.

Natürlich wäre auch Xhaferris „Pyramide“ eher über kurz als lang eingestürzt. Doch die Leute im Stadion von Tirana wollen es nicht wahrhaben. „Die Regierung ist Diebesgesindel!“ schreien sie. Nun hat diese Regierung versprochen, das blockierte Geld an die Düpierten auszuzahlen. Doch die argwöhnen, daß die Regierung nur ihr Finanzdefizit decken will, das etwa gleich groß wie die beschlagnahmte Summe ist.

Die Masse ist am Nachmittag vom Stadion auf den zentralen Skanderbeg-Platz geströmt, den die Polizei gesperrt hatte, aber unter dem Ansturm und einem kleinen Steinhagel freigeben mußte. „Vorgestern Luschnje, gestern Berat, heute Tirana“, schreit einer wie von Sinnen. Niemand weiß, was die Nacht bringt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen