Bremer Literaturpreis
: Autorenförderung bis zum Ruin

■ Notizen über eine Preisverleihung und die Literaturpflege

Die Wintersonne strahlt blendend durch die Fenster der Oberen Rathaushalle. Kameraleute und Fotographen postieren sich im Gegenlicht. Der Saal ist bald voll besetzt. Man gibt die zeremonielle Verleihung des Bremer Literaturpreises 1997 an Michael Roes und Stefanie Menzinger (Förderpreis). Auftreten nacheinander eine Senatorin, ein Laudator, ein Autor und ein Verleger. Was sie sagen, hat auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun, und doch fügt es sich zu zweierlei Varianten von Lese- und Schreibförderung und mithin zu einer kleinen Bestandsaufnahme der Kulturlandschaft in dieser Republik anno 1997.

Die Senatorin. Bringfriede Kahrs (SPD) ist unter anderem für Kultur zuständig und spricht das Grußwort. „Die kulturelle Ausstrahlung einer Stadt“, so hebt sie an, „wird gerade und immer wieder durch Experimente gespeist.“ Staatliche Kulturförderung müsse neben der breiten Struktur immer auch künstlerische Experimente schützen, fährt sie fort, um sich dann – der Bremer Literaturpreis wird verliehen – an die „auswärtigen Gäste“ zu wenden: „Es hat in den vergangenen Wochen eine Debatte um ein Standortkonzept für die Bibliotheken stattgefunden.“ Einer „schmerzhaften Entscheidung“ zufolge sollen sechs Bibliotheken geschlossen werden. „Doch Sie, liebe Preisträger, müssen sich keine Sorgen machen.“ Denn die Leseförderung werde auch weiterhin gesichert. Und das sogar mehr denn je. Denn: „Lesen erschließt dem Menschen die ganze Welt.“

Der Laudator. Wilfried F. Schoeller ist Jurymitglied, Literaturkenner und krisensicher beim Hessischen Rundfunk angestellt. Zu Roes' mit dem Literaturpreis ausgezeichneten Buch „Rub' Al-Khali – Leeres Viertel“ merkt er an: „Es ist eine modernisierte Moderne, die in diesem Buch aufleuchtet – eine komplexe Anlage, in der Wissenschaft und Poesie wieder zueinander geführt werden sollen... Wer darin liest, wird von einem Gedankenschwindel erfaßt und nach einigen Dutzend Seiten bereits vom Buch abgezogen. Man wird mit so vielen Anregungen gefüttert, daß man rasch auf sich selbst verwiesen ist und das Leserauge wie leer und wahrnehmungslos über die Seiten wandert. Dies scheinen mir die haltbarsten Bücher zu sein, die einen nicht nur anziehen, sondern durch einen schwirrenden Reichtum zeitweilig von sich weisen, um einen dann umso intensiver wieder an sich zu binden.“

Der Autor. Gerührt und sich verstanden fühlend, sorgt Michael Roes für eine Überraschung. Mußte man in den vergangenen Literaturpreisjahren schon froh sein, wenn die meist stillen Autoren in ihrer Selbstversonnenheit und Geschichtlichkeit überhaupt zum Empfang des Preises antraten und dann auch noch ihren Mund zum Dankeswort auftaten, gab sich Roes regelrecht offensiv. Zwar bezog sich auch er auf das Nietzsche-Wort, wonach der Autor zu schweigen habe, wenn das Werk zu reden beginne. Doch dann brach Roes die Tradition, überwand sich gar und stellte fest: „Respekt, Verantwortungsgefühl, Anwesenheit muß mehr denn je eine Verpflichtung des Schreibenden sein.“ Denn den unkorrumpierten Geist, der der eigenen Kultur fremd gegenüber steht, den Intellektuellen als erfahrbare Gegenwart, als hörbare Stimme und als handelnde Person gebe es in unserem öffentlichen Leben kaum noch. Ergo heißt seine Devise Einmischung.

Der Verleger. Er heißt Matthias Gatza. Seine Rede ist vom Protokoll nicht vorgesehen. Vor mehr als fünf Jahren habe er Roes' Manuskript „Jizchak“ bekommen. Er habe bei weitem nicht alles gleich verstanden. Und doch habe er Roes noch am selben Tag angerufen und ihm eine Veröffentlichung zugesagt. Die verkauften Exemplare dieses und zweier weiterer Bücher zählten nur wenige hundert, die Rezensionen nicht mal ein Dutzend. Das vierte Buch „Rub' Al-Khali – Leeres Viertel“ werde – „nachlässig, faul und kenntnislos“ – in vielen Besprechungen als „Romanerstling“ angekündigt. Es ist nicht mehr im Verlag Gatza erschienen, sondern in der gleichnamigen Edition beim Eichborn-Verlag. Gatza: „Ich habe mich mit Michael Roes bis zum Ruin beschäftigt.“ ck