■ Wer heute von Armut redet, braucht neue Daten
: Kahlschlag macht arm

Bis vor einigen Jahren wurde Armut anhand des Durchschnittseinkommens gemessen: Wer unter der Hälfte dessen lag, was im Landesdurchschnitt verdient wurde, galt als arm, der Rest nicht. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen fielen immer besser aus, die Soziologen klopften sich auf die Schulter. Alle waren zufrieden und beruhigt. Doch in Wirklichkeit verschwand die Armut nicht – die Maßstäbe konnten mit der sich verändernden Realität einfach nicht Schritt halten.

Wer heute von Armut redet, muß andere Daten zugrunde legen. Denn nur so sind neue soziale Probleme erfaßbar, wie etwa die Langzeitarbeitslosigkeit, die fast automatisch zur sozialen Ausgrenzung führt. In Spanien ist fast jeder vierte arbeitslos – eine Zahl, die bei weitem über dem EU-Schnitt liegt. Die Kahlschlagpolitik in Sachen Arbeitslosengeld tut ein übriges. Viele der Betroffenen sind so gezwungen, sich ihren Lebensunterhalt in der Schattenwirtschaft zu verdienen, ohne Absicherung.

Keiner weiß eine Lösung. Die Politik, nach der mehr Investitionen eine steigende Zahl von Arbeitsplätzen zur Folge haben, greift nicht mehr. Meistens bedeuten mehr Investitionen sogar das genaue Gegenteil: Weitere Arbeitskräfte werden überflüssig. Der Arbeitsmarkt hat sich so von Grund auf gewandelt. Die Hauptbetroffenen sind vor allem unqualifizierte Arbeiter über 50 Jahre, die ganz Jungen ohne Erfahrung, Frauen, Behinderte, usw. Sie haben weder Aussicht auf Arbeit noch auf eine angemessene staatliche Unterstützung. Die leeren Staatskassen werden sich auch in Zukunft nicht füllen, dafür sorgt nicht zuletzt der Vertrag von Maastricht mit seinen Konvergenzkriterien. Darunter leiden wiederum die Familien, die mangels anderer Absicherungen diese Personen unterhalten müssen. Ein Beispiel dafür sind die jungen Spanier, die heute kaum mehr das Elternhaus unter 30 Jahren verlassen.

Die einzige staatliche Beihilfe ist der „Integrationslohn“ (IMI), der viel zu niedrig ist, um Notlagen zu lindern. Als der IMI Ende der achtziger Jahre eingeführt wurde, richtete er sich an Leute, die schon immer am Rande der Gesellschaft lebten: Slumbewohner, Drogenabhängige und Leute, denen es nie gelungen war, sich ins Arbeitsleben einzugliedern. Hier hat eine grundlegende Veränderung stattgefunden. Heute beantragen nicht nur die traditionell benachteiligten Sektoren der Bevölkerung IMI, sondern immer mehr auch die Betroffenen des sich wandelnden Arbeitsmarkts. Auch viele junge Akademiker finden sich heute auf den Gängen der Behörde, und die sind noch mehr überfordert, als sie es ohnehin waren. Paloma López

Die Autorin ist Leiterin des Sekretariats für Sozialpolitik der CCOO, der kommunistischen Gewerkschaft Spaniens, in der Region Madrid.