Kärglicher Lebensabend

■ Portugals Rentner erhalten im Schnitt achtmal weniger als die in Luxemburg

Für João dos Santos hat 1997 nicht gut angefangen. Die ersten sechs Tage des neuen Jahres lag der 86jährige mit Lungenentzündung im Krankenhaus. Jetzt sitzt er zusammengesunken im Lehnstuhl in seiner Wohnung in der Madragoa, einem der ältesten Stadtviertel Lissabons. Er schaut auf die feuchte, grüngetünchte Wohnzimmerwand, aus der in diesem Regenwinter wieder einige Stücke Putz herausgebröckelt sind. Auf dem Kopf trägt er eine Mütze aus braunem Breitcord. Das herausgeknöpfte Fell eines Parkas hat er angezogen, und über den Knien liegt eine karierte Wolldecke.

João dos Santos friert. Und gesund ist er auch noch nicht. „Vorgestern mußten wir den Arzt rufen, denn er schafft den Weg ins Gesundheitszentrum nicht“, sagt seine Frau Angelica. Eigentlich müßte die staatliche Einrichtung in einem solchen Fall einen Doktor ins Haus schicken. Doch die wenigen ÄrztInnen dort sind überlastet, in den Fluren drängen sich die Kranken. „Die Arzthelferin am Telefon hat mich vertröstet. Uns blieb nichts anderes übrig, als einen Arzt auf eigene Kosten zu bestellen“, zuckt Angelica dos Santos mit den Schultern.

Eine freie Arztwahl gibt es nicht in Portugal. Kranke müssen sich entweder an das für den Wohnort zuständige Gesundheitszentrum wenden oder die Behandlung aus eigener Tasche bezahlen. Nachdem der ins Haus gerufene Arzt sein Köfferchen wieder zugemacht hatte, präsentierte er die Rechnung: 150 Mark. Mehr als ein Viertel der Monatsrente von João dos Santos. „So 14 contos“, habe der Arzt gesagt, erzählt der Rentner und richtet sich auf. „Nur 150 Mark. Ich hätte ihn am liebsten geohrfeigt.“ Vom Staat bekommt Santos 450 Mark Monatsrente. Die Werft „Lisnave“, sein letzter Arbeitgeber, legt noch 70 Mark Betriebsrente drauf. Mit diesen 520 Mark ist Santos für portugiesische Verhältnisse noch gut dran. Denn ein durchschnittlicher Rentner erhält hier nach einer Statistik von Eurostat 3.820 Mark im Jahr – achtmal weniger als ein Durchschnittsrentner in Luxemburg.

600.000 von 2,3 Millionen RentnerInnen bekommen lediglich die Mindestrente von 290 Mark monatlich. „In Zehntausenden von Fällen ist dies das einzige feste Einkommen für Rentnerehepaare. Etwa wenn die Frau keine Beiträge in die Rentenversicherung gezahlt hat“, sagt Paulo Pedroso vom Ministerium für Solidarität und Soziale Sicherheit. Portugal hat die höchste Armutsrate der EU: 25,2 Prozent der Bevölkerung gelten als arm. Und Sozialhilfe war bisher ein Fremdwort im Land.

Doch das ändert sich derzeit. Die seit Oktober 1995 amtierende sozialistische Regierung hat im Juli 1996 in 29 Gemeinden ein Pilotprojekt gestartet. Dort gibt es nun Sozialhilfe. Die monatlichen Einkommensgrenzen für Antragsteller liegen bei 200 Mark für jeden Erwachsenen und 100 Mark für jedes Kind im Haushalt. Die Differenz zwischen diesem „garantierten Mindesteinkommen“ und dem tatsächlichen Einkommen gewährt der Staat als Sozialhilfe. Ein Rentnerehepaar mit einem Einkommen von insgesamt 290 Mark im Monat bekommt also 110 Mark. Am 1. Juli soll das Projekt auf das ganze Land ausgeweitet werden. João dos Santos wird nichts bekommen. Sein Einkommen ist zu hoch. Theo Pischke, Lissabon