■ Querspalte
: Frag keine Schweizer

So klein ist die Schweiz gar nicht. Auf zwölf Deutsche kommt immerhin ein Halskranker. Aber ich wollte heute keinen Witz über die Eidgenossen machen. Andererseits ist es schwierig, sie ernst zu nehmen. Stehen sie doch immer noch in Appenzell bei jeder Gelegenheit auf dem Marktplatz herum und heben das Händchen: Für oder gegen das Frauenwahlrecht? Für oder gegen Ausländer? Für oder gegen Yoghurt-Preiserhöhung? Immerhin haben es die Schweizer geschafft, auch noch die hartnäckigsten Kritiker im Ausland davon zu überzeugen, daß eine gescheite Regierung oft hilfreicher ist als ein dummes Volk. Zumindest vor der alpenländischen Variante der Basisdemokratie möge uns der Herr verschonen.

Höre ich hier nur noch leisen Protest aus München vom „Verein für Volksentscheide in der BRD und mehr Demokratie in Bayern e.V.“? Dort ist man etwas ruhiger geworden, seit das bayrische Volk, um Rat in Verkehrsangelegenheiten gefragt, nach mehr Straßenbau schrie.

Es gibt in manchen Wohngegenden gute Gründe, seinen Nachbarn nie nach dessen Meinung, beispielsweise zur Judenvernichtung, zu fragen. Es wäre schwer, mit ihm später noch unbefangen über das Wetter zu reden. Meinungsumfragen sind an bestimmten Orten dringend zu unterlassen. Niemals, zum Beispiel, hätte man die Schweizer fragen dürfen, was sie von der Diskussion über das von ihrem Land eingesackte Nazigold denken und ob man es nicht den Hinterbliebenen der ausgeplünderten Juden zurückgeben muß. Um Himmelswillen!, hätte ich gerufen, nur diese Frage nicht stellen. Oder wenn, dann bitte die Antwort nicht veröffentlichen!

Es ist aber leider geschehen. Konsolm, so der Name des Meinungsforschungsinstituts, hat beides getan. Gefragt und veröffentlicht. Ergebnis: Jeder zweite Schweizer will die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg nicht genauer untersuchen. Jetzt ist es noch schwerer, nach dem Einkauf der Schokolade im nächsten Urlaub unbefangen „Grüazivielmols“ zu sagen. Philipp Maußhardt