Heute vor 25 Jahren trat der "Radikalenerlaß" in Kraft. Keine sollte als Beamtin oder im öffentlichen Dienst arbeiten, die nicht hundertprozentig zur Bundesrepublik stand. Die Berufsverbote waren ein Schandfleck auf Willy Brandts demokratis

Heute vor 25 Jahren trat der „Radikalenerlaß“ in Kraft. Keine sollte als Beamtin oder

im öffentlichen Dienst arbeiten, die nicht hundertprozentig zur Bundesrepublik stand.

Die Berufsverbote waren ein Schandfleck auf Willy Brandts demokratischer Weste.

Hexenjagd für die Demokratie

Keine Extremisten in den öffentlichen Dienst der Bundesrepublik. Das war das Ziel des sogenannten Radikalenerlasses, der am 28. Januar 1972 in Kraft trat. Verantwortlich zeichnete vor 25 Jahren neben den Ministerpräsidenten der Länder auch der damalige SPD-Bundeskanzler Willy Brandt, der angetreten war mit dem Slogan „Mehr Demokratie wagen“. Der Erlaß sollte zum Schandfleck seiner Kanzlerschaft werden. Dies sah Brandt später durchaus ähnlich. „Ist immer ein Fehler, was sich anders entwickelt als gedacht?“ fragte er sich. Gedacht hatte Brandt damals vor allem an seine Ostpolitik. Die CDU drohte, diese mit einem Verbotsantrag gegen die neugegründete Deutsche Kommunistische Partei (DKP) zu torpedieren. Brandt kam der Union mit dem „Radikalenerlaß“ entgegen. Er wollte zeigen, daß seine Versöhnungspolitik mit dem Ostblock keine Aufweichung im Innern zur Folge habe.

Im Zentrum der Umsetzung des Erlasses stand die Regelanfrage beim Verfassungsschutz. Millionenfach wurde sie vor jeder (!) Einstellung in den öffentlichen Dienst durchgeführt. Hatte der Geheimdienst „Erkenntnisse“ gespeichert, legte er der Einstellungsbehörde ein Dossier vor. Nach der Statistik der bundesweiten Initiative „Weg mit den Berufsverboten“ wurden insgesamt 35.000 solcher Dossiers angefertigt. In 11.000 Fällen hatte dies für die BewerberInnen unmittelbare Konsequenzen: Sie wurden zu einer „Anhörung“ eingeladen und mußten eine penible Befragung über Verfassungstreue und politische Aktivitäten über sich ergehen lassen.

Für immerhin 1.250 BewerberInnen blieben daraufhin die Türen zum Staatsdienst endgültig verschlossen. Weitere 256 „Verfassungsfeinde“, erst nach Dienstantritt entdeckt, wurden entlassen. Betroffen war vor allem die politische Linke: Mitglieder der moskauhörigen DKP und maoistischer Gruppen. Die Entlassungen von RechtsextremistInnen fielen dagegen nicht ins Gewicht.

Und was ist mit den Grundrechten? „Niemand darf wegen (...) seiner politischen Anschauungen benachteiligt werden“, heißt es im Grundgesetz. Das Verfassungsgericht jedoch entschied, daß hier nur das „Haben“ einer Überzeugung geschützt werde, nicht aber Äußerung und Betätigung, etwa durch Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei. Für Beamte (und abgeschwächt auch für Staatsangestellte) gelte eine „Treuepflicht“, die mehr fordere „als eine nur formal korrekte, im übrigen uninteressierte, kühle, innerlich distanzierte Haltung gegenüber Staat und Verfassung“.

Ein eindeutig politisches Urteil, das auch juristisch nicht überzeugen konnte. Denn das Grundgesetz bestimmt, daß eine verfassungswidrige Partei nur durch das Verfassungsgericht verboten werden kann. Dieses „Parteienprivileg“ wird aber unterlaufen, wenn Mitglieder einer nicht verbotenen Partei im öffentlichen Dienst mit Berufsverbot belegt werden. Ex- Verfassungsrichter Helmut Simon sprach deshalb von einem „verdeckten Parteienverbot“.

Manches hat sich in der Zwischenzeit normalisiert. Die Regelanfrage beim Verfassungsschutz wurde flächendeckend eingestellt, zuerst in Bremen (1977), zuletzt in Bayern (1990). Auf den Geheimdienst will man heute nur noch zurückgreifen, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte“ darauf hindeuten, daß die BewerberIn politisch „nicht geeignet“ ist. In Bayern werden die BewerberInnen allerdings heute noch per Fragebogen nach solchen Anhaltspunkten abgefragt. Fälle von Nichteinstellung und Entlassung sind heute selten geworden. Im Gegenteil wurden in den nördlichen Bundesländern sowie Hessen, NRW und Rheinland- Pfalz sogar einige Dutzend früher Abgelehnte und Entlassene (wieder) eingestellt.

Schadenersatz gab es bisher erst in einem einzigen Fall. Die niedersächsische Lehrerin Dorothea Vogt (Ex-DKP; vgl. Porträt unten) hatte sich durch die Instanzen geklagt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wertete schließlich ihre Entlassung als „unverhältnismäßig“. Für den Verdienstausfall bekam sie rund 223.000 Mark vom Land Niedersachsen. Das Urteil gilt aber nur in diesem Einzelfall. Andere, die auf den Weg nach Straßburg verzichteten, haben nichts davon.

Ist heute, nach dem Ende des Kalten Krieges, alles liberaler und lockerer? Leider nicht. Auch viele alte BerufsverbotskritikerInnen kämpfen jetzt für Berufsverbote – gegen Republikaner und andere Rechte. Und mit der Scientology- Sekte wurde sogar ein ganz neuer Gefahrenherd entdeckt. Seit dem 1. November 1996 fliegen in Bayern auch Sektenmitglieder aus dem Staatsdienst; konkrete Fälle gab es allerdings noch nicht. Ein ganz besonderes Problem hat sich die Alt-BRD außerdem mit dem Beitritt der neuen Länder eingehandelt. Dort fand man eine ganze Verwaltung voller ehemaliger Staatsfeinde vor. Bei „mangelnder Eignung“ dürfen diese laut Einigungsvertrag gekündigt werden. Vor allem eine „besondere Identifikation mit dem SED- Staat“, etwa bei der Übernahme von Parteiämtern, kann heute zum Verhängnis werden. In Ostdeutschland sprechen die Betroffenen des „Elitentausches“ deshalb längst wieder von „Berufsverboten“. Christian Rath