Geschichte im Rückwärtsgang

Die Alteigentümer lassen nicht locker. Sie wollen ihre nach 1945 in der SBZ enteigneten Güter und Ländereien in Ostdeutschland zurückhaben. Bedroht wären vor allem heutige Pächter  ■ Von Christian Rath

Kaum eine Lobbygruppe ist so hartnäckig wie die der zwischen 1945 und 1949 in Ostdeutschland enteigneten ehemaligen Gutsbesitzer und Landwirte. Zwar haben sie bisher alle politischen und juristischen Schlachten verloren, doch sie geben nicht auf. Fast jede Woche finden sich Anzeigen in Faz und Welt, in denen viel von „Unrecht“ die Rede ist. Sie wollen ihre Ländereien wiederhaben, obwohl der Einigungsvertrag eine Wiederherstellung der alten Eigentumsverhältnisse ausdrücklich ausgeschlossen hat.

Blenden wir zurück: 1945 — der Zweite Weltkrieg war zu Ende, Deutschland wurde in vier Besatzungszonen aufgeteilt. In der sowjetischen Zone (SBZ), der späteren DDR, wurden in großem Stil Grundstücke, Betriebe und Ländereien enteignet. Auf Grundlage des sowjetischen Befehls Nr. 124 konfiszierten die neuen Machthaber das Vermögen der Nazis und ihrer tatsächlichen und vermeintlichen Helfer. Dabei gelang es, alle bedeutsamen Industrie- und Mittelstandsbetriebe sowie alle Kreditinstitute, Versicherungen, Bergwerke, Bodenschätze und Energieunternehmen unter öffentliche Kontrolle zu bringen.

Parallel dazu wurden im Rahmen der sogenannten Bodenreform rund 7.000 landwirtschaftliche Güter mit einer Größe von über 100 Hektar (sogenanntes Junkerland) enteignet. Betroffen waren zusätzlich rund 4.300 kleinere Bauernhöfe, deren Eigentümer als „Kriegsverbrecher und Naziaktivisten“ galten. Dieses Land wurde zu zwei Dritteln an Landlose und Kleinbauern verteilt. In den 50er Jahren mußten diese Flächen dann in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPGs) eingebracht werden.

Aus heutiger Sicht gelten die Nachkriegsenteignungen selbst denen als rechtsstaatswidrig, die das Ziel einer grundlegenden Neugestaltung der Eigentumsverhältnisse akzeptieren. Die Beschlagnahmungen wurden oft überfallartig vollzogen und waren nicht selten von Brutalitäten begleitet. Einspruchmöglichkeiten und Rechtsschutz existierten nicht, der Willkür war Tür und Tor geöffnet. Häufig wurden auch nur private Rechnungen beglichen.

Als die DDR im Jahr 1990 am Ende war und die Wiedervereinigung vereinbart wurde, gab es aber eine Bedingung, die die damalige Sowjetunion und die DDR-Regierung aufstellten: Die Enteignungen zwischen 1945 und 1949 „sind nicht mehr rückgängig zu machen“. Die UdSSR wollte die Legitimität ihrer Nachkriegsmaßnahmen nicht überprüfen lassen, die DDR fürchtete soziale Unruhen ihrer Bevölkerung. Das gleichzeitig vereinbarte Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ galt nur für Enteignungen nach Gründung der DDR (auch dieses Prinzip war allerdings stark durchbrochen durch den Schutz redlicher DDR-Erwerber und den Vorrang für Investitionen).

Die SBZ-Enteigneten waren empört über ihre Schlechterstellung und forderten die Rückgabe auch ihrer Grundstücke, Betriebe und Ländereien. Doch das Verfassungsgericht erklärte 1991 den „Restitutionsausschluß“ für zulässig. Begründung: Ohne diese Klausel wäre die Wiedervereinigung gefährdet gewesen. Im April 1996 kommt es zu einer Neuauflage des Verfahrens, nachdem Michail Gorbatschow, der ehemalige Präsident UdSSR, die Bedeutung der SBZ-Enteignungen für die Wiedervereinigung in Frage gestellt hatte. Doch das Verfassungsgericht entschied erneut: Die Enteignungen von 1945 bis 1949 bleiben tabu.

Heute sind die Industriebetriebe größtenteils reprivatisiert. Gestritten wird vor allem noch um die Agrarflächen. Eine Million Hektar einst enteigneter Äcker und Wiesen sowie 600.000 Hektar Wald sind heute im Besitz der staatlichen Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft (BVVG) und stehen zur Privatisierung an.

Die Alteigentümer werden hierbei weitgehend leer ausgehen. Denn nach dem Ausgleichsgesetz, das Regierungskoalition und Bundesrat 1994 ausgehandelt hatten, bekommen sie als Ausgleich für die enteigneten Flächen nur zwischen 5 und 30 Prozent des heutigen Verkehrswerts. Mit diesem Geld können sie in den neuen Ländern zwar verbilligt Land kaufen, dabei haben allerdings die jetzigen Pächter ein Vorkaufsrecht. Und das sind nur in 10 Prozent der Fälle zurückgekehrte Alteigentümer.

Damit hatte die Bundesregierung nicht gerechnet. Es gab sogar Anweisungen an die BVVG, die Alteigentümer bei der Vergabe von Pachtverträgen zu bevorzugen. Den Löwenanteil mit rund 60 Prozent machen heute aber die großen LPG-Nachfolgebetriebe aus. Zum einen hatte es ohnehin nicht allzuviele Alteigentümer zurück aufs Land gezogen. Und dort, wo es konkurrierende Anträge gab, hatten nach Ansicht von BVVG und Ostbundesländern die LPG-Nachfolger in der Regel das bessere Betriebskonzept und das qualifiziertere Personal zu bieten.

Insofern ist die Bundesregierung mit ihrem Flächenerwerbsprogramm nicht ganz glücklich. Doch um den Frieden in der ostdeutschen Landwirtschaft nicht aufs Spiel zu setzen, soll hieran nicht mehr gerüttelt werden. Dies bestätigte Kanzleramtsminister Friedrich Bohl kürzlich ausdrücklich im Bundestag.

Nur Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig will diese Entwicklung noch einmal aufhalten. Am liebsten würde er den Alteigentümern das BVVG-Land kostenlos zurückgeben, zumindest aber will er ihnen Vorrang und verbesserte Konditionen beim Landerwerb sichern.

Die SPD-Opposition nutzte den Dissens in der Regierung weidlich aus, stellte sich im Bundestag an die Seite Bohls und gegen den Justizminister. Der Schweriner SPD- Abgeordnete Hacker forderte gar den Rücktritt von Schmidt-Jortzig, weil dieser „den Rechtsfrieden im Land gefährde“. Des Justizministers einziges Zugeständnis: Er distanzierte sich von den Pressekampagnen der Alteigentümer, die ihn „eher abstoßen“ — und behielt im übrigen seine Position uneingeschränkt aufrecht.