Fröhliche Verweigerung der Rebellion

■ Von Schauspielern, die einfach verschwinden: Im Hamburger Schauspielhaus inszenierte Stefan Bachmann „Triumph der Illusionen“ von Pierre Corneille

Als Pierre Corneille 1606 das Licht der Welt erblickte, war das Fernrohr in Frankreich noch unbekannt und die Komödie als Gattung schon fast wieder von den Bühnen des Landes verschwunden. Dreißig Jahre später, als Corneilles „L'Illusion comique“ in Paris uraufgeführt wurde, hatte sich der Blick auf die Welt bereits entscheidend verändert. Was die Komödie betraf, blieb man jedoch mit Deimiers einig: „Sie ist von einem zu niederen und volkstümlichen Gegenstand, als daß sie die Beachtung eines vortrefflichen Geistes verdienen könnte.“

Um das gesellschaftliche Ansehen der Komödie aufzuwerten, gingen die jungen Dramatiker der Zeit strategisch vor: Sie machten den Adel zum Protagonisten und behaupteten in ihren Stücken die Äquivalenz von Theater und Leben. Während also Kopernikus und das Fernrohr den Himmel entzauberten und versuchten, die Welt an ihren Platz zu rücken, bemühten sich die Theatermacher, allen Zauber auf die Bühne zu holen. Der Mensch wurde mit Shakespeare „such stuff as dreams are made on“, das Leben mit Calderón ein Traum und die Wirklichkeit folglich eine „komische Illusion“. Das barocke Drama hatte mit dem Vexierspiel von Illusionierung und Desillusionierung sein Thema und seine Form gefunden.

Stefan Bachmann läßt sich ganz auf dieses Spiel ein. In seiner Corneille-Inszenierung am Deutschen Schauspielhaus Hamburg zeigt er eine fast kindliche Freude am Pingpongwechsel der Ebenen. Dem Publikum werden auf der leeren Bühne lediglich Fingerzeige gegeben, reisen soll es im eigenen Kopf. Dabei zeigt schon Hugo Gretlers Bühnenbild, daß dies eine Irrfahrt werden muß. Die Gassenbühne des 17. Jahrhunderts hat er geschickt durch eine sich verjüngende Schräge in einen Zeittunnel übersetzt, deren in das Nichts führende Spirale sich bei Licht als mäandernder Graben entpuppt.

Und genauso oft, wie hier Schauspieler plötzlich verschwinden, lockt Bachmann das Publikum auf falsche Fährten. Durch Licht, Video, Musik und vor allem akustische Effekte – von einem Geräuschemacher live produziert – werden permanent Illusionen erzeugt, die im nächsten Moment mit freundlicher Schadenfreude als solche entlarvt werden. Theater, so die glückliche Botschaft im zwanzigsten Jahrhundert, ist eben nicht das Leben, sondern Theater.

Corneille erzählt die Geschichte vom selbstgerechten Pridamant, dessen Sohn Clindor einst vor der väterlichen Borniertheit Reißaus nahm. Mit Hilfe des Zauberers Alcandre will Pridamant (Werner Rehm) den verlorenen Sohn zehn Jahre später wiederfinden. Alcandre (Siggi Schwientek mit verschlafenem Biene-Maja-Charme) schwingt den Zauberstab, der Vorhang hebt sich, und die Intrigenkomödie beginnt. Clindor (Robert Gallinowski) dient Matamore (Stephan Bissmeier), verführt dessen vermögende Geliebte (Judith Engel) und liebt deren ordinäre Dienerin (Marion Breckwoldt, als fleischgewordene Rächerin der Verschmähten Star des Abends). Anfangs wird so leichtfertig gevögelt wie später leichthändig gemordet. Erst nach der Tragödie, kurz bevor der Schriftzug „FIN“ vom Bühnenhimmel gesenkt wird, versteht der Vater, daß das Spiel nur ein Spiel im Spiel war und sein Sohn mitnichten tot ist, sondern ein erfolgreicher Schauspieler.

„Ich mag Dramen aus der vorpsychologischen Zeit, die ihre Unschuld noch nicht verloren haben“, erklärte Bachmann vor der Premiere. „L'Illusion comique“, die er als „Triumph der Illusionen“ zeigt, sei ihm da „eine Fundgrube an vielschichtiger Naivität“ und vor allem „eine Liebeserklärung ans Theater“. Und als solche inszeniert er sie. Leicht, aber nicht blöde. Trotz aller Comichaftigkeit der Figuren verhindert eine disziplinierte ästhetische Reduktion den Abrutsch in Klamauk. Regie und Bühne wollen nicht mehr und nicht weniger, als in die wunderbare Welt der Schwerelosigkeit entführen.

Auf subtile Art wird so der Generationskonflikt, der inhaltlich Movens des Geschehens ist, formal ausgetragen. Im Grunde hätte man einen expliziteren theatergeschichtlichen Kommentar von Bachmann erwartet, schließlich gibt es hier zwischen Theater und Leben sehr wohl Parallelen: Auch der Schweizer floh vor der Selbstgenügsamkeit der Väter, als er 1989 beschloß, nicht weiter an der Berliner Schaubühne zu hospitieren, sondern eigene, freie Produktionen zu machen. Sieben Jahre später wurde der Dreißigjährige zum Nachwuchsregisseur des Jahres gekürt, und Ivan Nagel, designierter Chef der Salzburger Festspiele, traut ihm die längst überfällige Ablösung der Alten Wilden des deutschen Regietheaters zu.

Die feine Ironie des Abends liegt so im geänderten Schluß des Dramas. Die Barockfassung brauchte die Aussöhnung zwischen Vater und Sohn für die Aufwertung des Theaters. Bei Bachmann hingegen verläßt der Vater den Saal mit einem unversöhnlichen „Theater ... Schwachsinn!“ Gemeint ist die Komödie, das affirmative, süße Illusionsspiel. Heutzutage regt die Theater- und Kritikerväter der Nation nichts so sehr auf wie die fröhliche Verweigerung der Rebellion. Christiane Kühl

„Triumph der Illusionen“ von Pierre Corneille. Regie: Stefan Bachmann. Deutsches Schauspielhaus Hamburg. Nächste Aufführungen: 29.1., 1.2., 9.2.