Arbeit von Drogenprojekten gefährdet

Das Bonner Gesundheitssparpaket macht Drogenhilfeeinrichtungen zu schaffen: Zehn Monate Therapie werden noch bezahlt – die meisten Süchtigen brauchen aber längere Betreuung  ■ Von Ulrike Winkelmann

Berlin (taz) – Als im September vorigen Jahres das „Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz“ durch den Bundestag gewunken wurde, schworen die Gesundheitspolitiker der Koalition: Die Gelder für Drogentherapien würden geschont. Doch sie hatten den Mund offenbar zu voll genommen: Auch im Bereich der Drogenrehabilitation müssen seit dem 1. Januar dieses Jahres zwischen 15 und 30 Prozent gespart werden.

Der Katzenjammer über das gebrochene Versprechen wich rasch dem Pragmatismus: So empfahl der Bundesverband der Rentenversicherer als erste Maßnahme, die Dauer von Drogentherapien zu beschränken. „Im ganzen Land ist jetzt nach zehn Monaten Feierabend“, so Jost Leune, Geschäftsführer des Fachverbandes Drogen und Rauschmittel in Hannover.

Bislang waren 9 bis 14 Monate Therapiezeit üblich, 12 Monate durchschnittlich nutzten Drogenabhängige die Rehabilitationsmühen. Nun sind rund 750 der bundesweit etwa 5.000 Therapieplätze für Heroin-, Kokain- und Medikamentenabhängige gefährdet, rechnet Leune vor.

Die Therapiekette Niedersachsen schlägt bereits Alarm: „Wir können keine effektive Drogenarbeit mehr sicherstellen“, meint Wilhelm Osterkamp von der Therapeutischen Gemeinschaft in Drachtmissen. Er weiß: „Therapeutische Prozesse sind nicht beliebig zu beschleunigen.“

Bis 1994 hat man dort die Patienten in der überschaubaren Einrichtung, die auf Selbstverantwortung und Autonomie der Patienten baut, noch 18 Monate betreuen können. Eine weitere Verkürzung von zwölf auf nunmehr zehn Monate sei nicht mehr tolerierbar, so Osterkamp. Der Drogenentzug in den Wohngruppen sei erwiesenermaßen die beste Therapieform und könne durch psychiatrische Kliniken ebensowenig aufgefangen werden wie durch ambulante Behandlung.

Die zuständige Landesversicherungsanstalt (LVA) Niedersachsen bedauert dies, verweist jedoch auf die Kosten des Drogenentzugs. „Drogen- und Alkoholentwöhnungen sind die teuersten Maßnahmen im Rehabilitationsbereich“, erklärt Hartmut Höfgen, Reha-Abteilungsleiter bei der LVA in Hannover. Bei 50.000 bis 80.000 Mark Therapiekosten pro Klient müßten die Einrichtungen begreifen, daß „man die Therapie straffen und dennoch die Qualität gewährleisten kann“.

Solche Konflikte zwischen Therapieeinrichtungen und Landesversicherungsanstalten spielen sich derzeit „überall in der Republik“ ab, sagt Thomas Bader, Geschäftsleiter der Drogenhilfe Tübingen, die einen großen Teil der Einrichtungen in Bayern und Baden- Württemberg betreut. Dramatisch sei überdies, daß besonders in den kleineren Einrichtungen „die Struktur kracht“: Durch die Verkürzungen werden dort Kapazitäten frei, die wiederum Stellenkürzungen nach sich ziehen: „Viele Projekte fürchten, daß sie mit weniger Personal ihr Konzept nicht mehr aufrechterhalten und ihre Verwaltungskosten nicht mehr rechtfertigen können.“

Rolf Hüllinghorst, Geschäftsführer der Hauptstelle gegen Suchtgefahren im westfälischen Hamm, sieht die Qualität der Therapien nicht derart in Frage gestellt. Er schlägt statt dessen eine „Individualisierung“ der Therapiezeiten vor: „Die Einrichtungen dürfen sich nicht an starren Konzepten festhalten, sondern sollten sich noch mehr den Bedürfnissen ihrer Klienten anpassen.“ Besonders die Patienten, die früh mit dem Drogenkonsum angefangen hätten, bräuchten oft mehr als eine zehnmonatige Betreuung; für andere reichten „sicherlich zehn Monate“.

Für eine „Flexibilisierung“ der Therapiedauer plädiert auch Thomas Bader von der Drogenhilfe Tübingen. Die kurzen Umsetzungsfristen des Sparpakets haben jedoch niemandem die Möglichkeit gelassen, schlüssige Konzepte zu erarbeiten. Die „gegenwärtige Misere“ der Drogenhilfe wollen die Fachverbände in diesen Tagen vor den zuständigen Bonner Sozialpolitikern ausbreiten. Bisher, sagt Bader, „haben die wahrscheinlich noch gar nicht begriffen, was sie da mit dem Sparpaket eigentlich abgestimmt haben“.

Monika Knoche, gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsgrünen, kritisiert, daß die „Regierung die Therapiemöglichkeiten beschneidet und damit gleichzeitig die sachliche Diskussion über Drogenpolitik umgeht“. Ihr Fazit: „Eine medizinisch sinnvolle Behandlung von Süchten ist immer weniger möglich“ – was politisch offenbar einkalkuliert werde.