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■ VorschlagUnedle Wilde: Vic Chesnutt und Terry Lee Hale im Loft

Die Zeiten, sie verändern sich! Mehr als bloß eine Handvoll derer, die Donovans „Hurdy Gurdy Man“ für ein Werk der Butthole Surfers hielten, und sogar einige von jenen, die bei „First We Take Manhattan“ eher an einen Blumfield-Song denken als an Leonard Cohen, hören inzwischen wieder zu, wenn die Meister aus der Zunft der Singer und Songwriter ihr Handwerkszeug auspacken. Das Vergnügen, einen großstädtisch auf- und abgeklärten Blick auf jene unedlen Wilden zu werfen, steht dabei neben dem berechtigten Wunsch, mal wieder ohne Ohrstöpsel auf ein Konzert gehen zu können – zumal heute mit Vic Chesnutt einer der interessantesten Vertreter dieses Genres vorbeischaut. Herzlich willkommen im exklusiven Chesnutt-Fanclub, dem nicht nur Bob Mould und Entdecker Michael Stipe, sondern auch die Smashing Pumpkins, Kirstin Hersh, Soul Asylum und andere angehören – nachzuhören auf dem Tribute-Sampler „Gravity of the Situation“, dessen Erlös dem Musikerhilfsfonds „Sweet Relief“ zugute kommt. Ähnlich empfehlenswert sind „Is the Actor Happy?“ und „About to Choke“, die beiden letzten Alben Chesnutts: Sichtlich gereift, in Zeitlupe und mit getragener Stimme entfaltet der aus dem winzigen Zebulon, Georgia stammende Melancholiker, der in jungen Jahren im Vollrausch in den Straßengraben raste und seitdem im Rollstuhl sitzt, dort noch einmal die traurigen Klänge des ländlichen Südens und lotet die Grenzgebiete von Nachdenklichkeit und Sarkasmus aus. Aber während sich Vic Chesnutt langsam in die Riege der potentiellen Klassiker dieses Genres spielt, gehört Terry Lee Hale noch immer zu denen, die man sich eher der Vollständigkeit halber zu Gemüte führt. Der viermalige Gewinner des Acoustic-Guitar-Awards der Northwest Area Music Association aus Seattle hat inzwischen seine heimatlichen Gefilde Folk und Rock verlassen, um weltweit nach umsetzbaren Roots zu graben. Europäische Zirkusmusik, Mariachi-Trompeten, Didgeridoo – nichts ist vor diesem Wanderer zwischen den Welten sicher, der jedoch im Studio nicht immer über das nötige Charisma verfügt, um dieses Multiversum auf einem Album zu bändigen. „Maßgebend ist aber auf dem Platz!“ wirft da der innere Fußballer ein, und rechtzeitig erinnern wir uns, wie unlängst David Munyon in Huxley's Kantine 50 standhafte Seelen begeisterte, als nebenan Suede lautstark dröhnten – also. Gunnar Lützow

Vic Chesnutt und Terry Lee Hale, heute abend um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz

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