„Ich habe nicht viel für Deutschland getan“

■ Bernd Schuster über seinen Neuanfang in Mexiko, seine Frau, Fußball und Nationalismus – und warum er nach dem bitteren Rausschmiß in Leverkusen nicht vom Spiel lassen konnte

taz: Die mexikanischen Pumas und ihre Fans haben große Erwartungen. Und die Reporter fragen Sie immerfort, was Sie den Spielern hier beibringen können?

Bernd Schuster: Das werde ich hier wirklich immer wieder gefragt: Was kann Bernd Schuster dem mexikanischen Fußball geben? Aber, mein Gott, ich bin auch nur ein Fußballspieler, ich bin ja kein Gott oder so. Ich komme einfach hierher und vertraue auf den Fußball, den ich bis jetzt gespielt habe. Auch wenn ich natürlich nicht mehr ganz so jung und frisch bin. Aber hier soll ich ja auch gar nicht unbedingt so herumspringen wie ein Wiesel. Mit den Jungen läuft das prima, die vielen Jahre in Spanien (Schuster spielte 13 Jahre in Barcelona und Madrid; d. Red.) haben mir da sicher geholfen. Denn ich bin von Haus aus ja eher verschlossen, und es fällt mir nicht leicht, mich aufzumachen.

Die Mentalität behagt Ihnen offensichtlich.

Ja, das ist schon ähnlich wie in Spanien, das Essen, die Farben, das ganze Leben. Und auch die Zuschauer. Hier versteht ja jeder was von Fußball. Egal wo man hingeht, reden die Leute vom Fußball. In Deutschland interessieren sich viele Leute gar nicht so richtig. Ich mag es lieber, wie es hier ist.

Auch vom Fußballerischen her? Sie haben gesagt, man spiele hier „mehr so drauflos“.

Damit meine ich vor allem, daß man sich hier nicht so auf Taktik fixiert, wie wir das in Deutschland gewöhnt sind. Da beschweren wir uns ja oft, daß die Überraschungseffekte fehlen, man immer schon im voraus weiß, was gleich passieren wird. Das ist hier anders: Hier weiß man eigentlich überhaupt nicht, was im nächsten Moment passieren wird. Das sind dann eben diese Überraschungen, daß ein Spieler – und das muß gar kein Star sein, der kann auch aus dem hinterletzten Dorf kommen – plötzlich irgendein Dribbling macht oder einen Schuß, mit dem man nie gerechnet hätte. Bei uns macht man so was höchstens im Training.

Sie sollen da aber jetzt deutsche Strategie reinbringen?

Ich denke, es geht darum, eine Mischung zu finden. Das ist natürlich nicht einfach, gerade auch für mich alleine nicht. Ich muß mal sehen, ob die Zeit dazu reicht, da noch ein bisserl Strategie und Ordnung reinzukriegen.

Sie hatten ursprünglich die USA angepeilt. Kam Mexiko eher zufällig dazwischen?

Nein, zufällig war das eigentlich nicht. Der Kontakt mit Mexiko bestand schon längere Zeit, letztes Jahr war ich schon mal hier. Die Aufgabe war interessant für mich, und in Amerika hätte das eh erst im April angefangen, das war mir ein bißchen spät. Aber hier geht der Vertrag ja erst mal nur bis Juni, Amerika kann im Sommer vielleicht noch eine Möglichkeit sein.

Mexiko ist nicht der Abschied vom aktiven Fußball?

Solange man sich gut fühlt und noch Lust bei dem hat, was man macht, sollte man eigentlich noch spielen. Wenn man zu früh aufhört, ärgert man sich später doch wieder. Und natürlich kommt hinzu, daß ich meine Karriere nicht so beenden wollte, wie das in Leverkusen gelaufen ist. Dazu habe ich zu lange gespielt und zu gerne. Deshalb war es für mich wichtig, noch mal irgendwo zu spielen.

Mexiko ist ja auch schön weit weg. Ist Ihr Zorn auf Deutschland inzwischen ein wenig verraucht?

Na also, abgehauen bin ich nicht. Und man darf das nicht verallgemeinern, da muß man schon konkret von Leverkusen sprechen: Das war gar nicht schön, und das muß man abhaken. Obwohl es mir schwerer gefallen ist, als ich gedacht hätte. Weil ich da eigentlich sehr glücklich war und zwei gute Jahre gehabt habe. Man macht das alles ja nicht nur, um einen Haufen Geld zu kriegen, sondern weil man gerne Fußball spielt, eben vom Herzen aus. Ich hätte eigentlich lieber das Geld nicht gekriegt und statt dessen noch weitergespielt.

Das Image des „alternden Querulanten“ kratzt Sie nicht mehr?

Das wiederholt sich ja immer wieder, in jedem Verein, in dem ich gespielt habe. Aber ich bin einfach, wie ich bin. Keiner wird mich ändern. Ich bin halt immer meine Linie gegangen, egal wo ich war, egal mit wem ich es zu tun hatte. Das wird wohl auch so bleiben, wenn ich später mal als Trainer arbeite.

Es heißt, Sie hätten eine Karriere der „verpaßten Chancen“ hinter sich. Was haben Sie verpaßt?

O nee, eigentlich nichts. Das wär' nun wirklich undankbar, zu sagen, mir hätte irgendwas gefehlt. Viele sagen, du hast ja keine WM gespielt. Und klar ist eine WM mit das größte für einen Fußballer. Aber damals haben eben die zwischenmenschlichen Beziehungen nicht gepaßt, und da habe ich als junger Spieler leider sagen müssen: Ich will das Theater nicht mehr mitmachen. Aber ich habe in hervorragenden Klubs spielen dürfen, bin erfolgreich dabei und habe eine tolle Familie gründen können. Ich wüßte also nicht, was ich verpaßt haben sollte.

Im Männerklüngel Fußball wurde Ihnen übelgenommen, daß Sie stets großen Wert auf Frau Gaby und Familie legten?

Ich bin halt keiner, der jeden Abend mit irgendwem in der Kneipe sitzt und Bierchen trinkt. Was meine Frau betrifft, sind wir wohl so eine Art Vorreiter gewesen. Heute bleiben andere Spieler auch zu Hause, wenn die Frau ein Kind bekommt, heute ist das selbstverständlicher. Ich habe dafür vor zehn Jahren böse bezahlen müssen, mich haben sie sonstwas geheißen, weil ich ein Freundschaftsspiel habe sausen lassen, als ich bei der Geburt meines ersten Sohnes dabeisein wollte. Damals war meine Frau auch die erste, die sich um die finanziellen Sachen gekümmert hat. Heute ist auch das ein bißchen normaler, es gibt viele bekannte Leute, die offen sagen, daß sich ihre Frau um das Geschäftliche kümmert.

Stichwort Geschäft: Die Nationaluniversität ist eine ziemlich arme öffentliche Einrichtung.

Natürlich spiele ich nicht umsonst, das macht eh keiner. Aber die haben hier sicher nicht ihr Geld aus dem Fenster geschmissen oder die halbe Uni verkaufen müssen, um mich zu bezahlen (lacht). Es müssen jetzt ja nicht Millionen sein, das habe ich schließlich schon hinter mir. Es war ja eher so, daß ich noch mal Spaß haben wollte.

Wieviel liegt zwischen Ihnen und dem Rest?

Also, ich sage immer, ich kriege ein warmes Mittagessen pro Tag und noch ein paar Pesos dazu.

In Mexiko ist der Fußball nationalistisch aufgeladen. Bei Siegesfeiern gibt es stets Randale und ab und an auch mal ein paar Tote.

Für viele Leute hier ist der Fußball eine Möglichkeit, sich darzustellen und sich gegen andere Länder zu profilieren. In Deutschland dagegen war früher so ein bißchen die Luft raus, wir waren wohl zu erfolgsverwöhnt, und danach sind wir dann erst mal in ein Loch gefallen. Erst in den letzten Jahren kommen wir da wieder raus und fangen sogar an, die Hymne wieder mitzusingen. Und da kommt der Nationalismus dann doch wieder raus, man spielt wieder ein bißchen mehr für sein Land.

Für Sie ist das positiv?

Ich finde das eigentlich schon ganz gut. Obwohl ich in dieser Hinsicht nicht viel für Deutschland getan habe. Trotzdem finde ich das wichtig. Und wir in Deutschland haben das, als es uns mal zu gut gegangen ist, so ein bißchen aus den Augen verloren. Hier passiert das nicht: Die meisten Leute hier leben ja nun nicht so phantastisch.

Der Fußball in einem armen Land wird zur Frustkompensation für die wirtschaftliche Misere?

Ja, für die Leute, die aus armen Verhältnissen kommen, ist der Fußball sicher dieses Stück Seil, wo man sich dranhängt, um vom Leben überhaupt noch was zu haben. Da steigert man sich dann automatisch rein. Aggressionen kann man in einem großen Stadion alle rausbrüllen. Aber vielleicht geht dann einer nach dem Spiel nach Hause und fühlt sich erst mal wunderbar und ist für eine Woche wieder zufrieden. Ich sage immer: Lieber sollen sie den Frust bei uns im Stadion rausschreien als an ihrer Frau auszulassen. Interview: Anne Huffschmid