Das hat Folgen

■ Read.Me: Fernsehen! Geschichte! Nation! Harald Martenstein über Deutschland und seine Fernsehserien

Es ist kein Buch über das Fernsehen. Aber er ist ja auch kein Fernsehjournalist. Harald Martenstein ist Feuilletonist beim Berliner Tagesspiegel, und sein Zugang zum Fernsehen ist von allen chronologischen und systematischen Bürden beneidenswert unbelastet. Das Inhaltsverzeichnis scheint einen zu erschlagen. Serien, Serials und Mehrteiler stehen da munter und arglos nebeneinander. Keine Zeile über Spieldauer, Sendejahr, Sender des besprochenen Werkes. Das alles interessiert den Autor offenbar nicht. Harald Martenstein hat anderes (mehr?) im Sinn. Er würde wohl mit seinem Buch am liebsten die ganze Welt erklären – oder doch zumindest die Bundesrepublik. Das Fernsehen und seine Serien sind ihm da nur willkommene Gehilfen. „Fernsehen! Geschichte! Nation!“ heißt folgerichtig sein erstes Kapitel, in dem 500 Jahre Kommunikationsgeschichte auf 25 Zeilen zusammengefaßt werden, das die Verachtung der „Lindenstraße“ (wie es neuerdings schick ist) verächtlich macht und sich darüber freut, daß der Staat durch Schimanski endlich einen Unterleib bekam. „Dies ist eine optimistische Geschichte“, betont der Autor. „Sie handelt davon, wie man in Deutschland mit Hilfe des Fernsehens allmählich heimisch werden kann.“

Unter dieser Voraussetzung freilich liest sich das Buch sehr schön. Vor allem wenn Martenstein eine persönliche Verbindung zwischen den Darstellern, ihren gespielten Helden und dem Zeitgeist herzustellen vermag, gelingen ihm sehr kluge Feuilletons. So schlägt er in seinem Kapitel über den „Kommissar“ kunstvoll den Bogen von Erik Ode, der der „letzte Funker des Führers“ war, zu dem von Reinecker erdachten „Volkstherapeuten“ Kommissar. „Keller will das Verbrechen enthüllen, nicht um zu strafen, sondern um zu verstehen. Dann, wenn die Gerechtigkeit ihr Werk getan hat, ist Verzeihen möglich“, so Martenstein. „Die Schlußszene des ,Kommissars‘ erinnert an Deutschland 1945: Alle waren dabei, aber nur einer war schuld.“

Auch in die Fernsehseelen von Stefan Derrick und Horst Tappert (Disziplin, Pflichtgefühl, Standhaftigkeit) kann sich Martenstein einfühlen. Nach allem Langweiligen, was über diesen Helden zu Papier gebracht wurde, ist es schon wohltuend, wenn es hier über ihn schlicht heißt: „Ein Aussitzer, genau wie sein Kanzler.“

Nicht überall führt das Prisma Fernsehen zu einer neuen Erkenntnis. Deutliche Schwierigkeiten offenbaren sich immer da, wo es nicht mehr reicht, den Staat und seine Zuschauer auf die Couch zu legen. Kult scheint den Kulturmenschen Martenstein zu verunsichern. Bei der „Raumpatrouille Orion“, Edgar Reitz' „Heimat“ und der „Schwarzwaldklinik“ rettet er sich in ridiküle Dialogformen, die deutlich hinter den anderen Kapiteln zurückbleiben. Aber wo es um Heldenmythen gehen soll, lassen sich die spielerischen Rezeptionsformen, wie sie das Fernsehen bereitstellt, wohl nicht einbeziehen. Und schließlich ist es ja auch kein Buch über das Fernsehen. Klaudia Brunst

Harald Martenstein: „Das hat Folgen. Deutschland und seine Serien“. Reklam Leizpig, 17 DM