Quadratur des Fortschritts

Auf dem 1. Deutschen Manga-Filmfestival werden erstmals in Berlin Klassiker des populären japanischen Zeichentrickfilms im Kino gezeigt  ■ Von Bettina Allamoda

In Japan sind Mangas ebenso populär wie Literatur. Je nach Beliebtheitsgrad entstehen aus diesen Comics dort TV-Animationen, Videoserien und Kinofilme. Anders als bei Disney oder Warner Bros. bewegen sich die Figuren und HeldInnen der „Anime“ genannten japanischen Zeichentrickfilme in einer Art von phantastischem Realismus, wo Natur und Technik bereits untrennbar miteinander verwoben sind. Der Cyberspace scheint lange überwunden: Apokalypse, Vergangenheit und Zukunft, Mythologie und Tradition werden immer wieder neu erfunden, anders gestaltet und weiterentwickelt. Die Quadratur des Fortschritts, zumindest als special effect.

Mit „Akira“ und „Macross Saga“ werden als Opener des Manga-Festivals zwei Klassiker gezeigt, die am besten die lange Tradition des japanischen Zeichentricks illustrieren (das meiste geht ohnehin auf Astroboy, die Anime-Legende von Osamu Tezuka aus den 50er Jahren zurück). Ohne erlösendes Happy-End und mit einer eindeutig für Erwachsene konzipierten, technisch brillanteren Animation sorgte „Akira“ von Katshurio Otomo, nach seiner europäischen Veröffentlichung 1992, erst für den Boom an Japan-Comics in Deutschland oder Frankreich. „Macross Saga“ war dagegen eine der ersten anspruchsvolleren Anime-Produktionen, die auch für den TV-Markt in den USA übernommen und als „Robotech“ koproduziert wurde.

Im Jahr 1999 stürzt ein außerirdischer Raumflugkörper auf Macross Island im Südpazifik ab. Die Erd-Allianz beschließt die hochavancierte Technologie der Aliens aus dem All zu erforschen, schließlich entsteht zehn Jahre später eine Megastadt um das Projekt SDF-1. Das alles spielt in einer Teeniewelt: Zu Beginn besteigen die kindergesichtigen Protagonisten noch selbstgesteuerte, roboterartige Fahrzeuge, die sich mechanisch in Flugzeuge oder Tanks verwandeln können. Erst im Verlauf der zahlreichen Video- und TV-Serien entwickeln sich die Jugendlichen zu Cyborgs oder Bionauten. Irgendwann mutiert die ganze Chose in jeder Beziehung, Helden werden zu Heldinnen, und die Erdverteidigungstrupps gleichen sich dem Aliengegner an. Plötzlich laufen auch die Kriegsmaschinen in lebenden biogenetischen Kampfrüstungen umher.

Eine andere Serie, „Bubblegum Crisis“, handelt dagegen mehr von zivilen Problemen. In der von Tochimichi Suzuki Ende der 80er Jahre entworfenen Fortsetzungsgeschichte kämpft ein Geheimbund aus japanischen Riot-Girls als anonyme und maskierte „Knight Sabers“ gegen die von einem gewissen Genom-Kombinat A3 entwickelten Androiden, die inzwischen Amok laufen. Auch dieses Unternehmen sichert am Ende den Erdfrieden. Im Design ihrer „Hard Suits“ wird dabei nicht auf hohe Hacken verzichtet. Es kämpft die Frauensolidarität, manchmal finden sie aber auch Jungs nützlich – ohne daß der Spaß in „Schulmädchenreport“ endet. Der ganze Zeichentrickstil ist hoch entwickelt, realistisch, aufwendig, abwechslungsreich und bunt.

Nebenbei findet sich auch eine absolut faszinierende Darstellung des technologischen Alltags im Mega-Tokio im Jahre 2023. Bei „Bubblegum Crisis“ wechselt der Blick des Betrachters zwischen Architektur und Bewegung, fokussiert abwechselnd sämtliche Nah- und Fernbereiche der Handlung. Mit ähnlichen Tricks arbeitet auch „Ghost in the Shell“ von Mamoru Oshii (1995), allerdings hat die schwer vergrübelte Endzeit-Philosophen-Story um einen Cyborg mit Identitätsproblemen einige Längen. Immerhin kann man dann die detailreichen Panoramabilder genießen.

Auch „Dragonhalf“ von Ryuusuke Mita bewegt sich im Blitztempo zwischen verschiedenen Zeichenstilen. Mal erscheinen Mink, ein Mischwesen aus Drache und Teenager-Girl mit Superkräften, ihre Elfenfreunde und Hausmaus Banzai „ganz normal“, was für japanische Verhältnisse leicht verniedlicht, großäugig und puppenköpfig bedeutet. Zwischendurch allerdings reduzieren sich die Figuren für Sekundenbruchteile auf flache, kreisrunde Gesichter und minimale Strichmännchen mit dreieckigen Armen. Mink ist die Tochter eines Drachentöters, der sich in den Roten Drachen, den er eigentlich töten sollte, verliebte und ihn dann heiratete. In diesem Märchenreich leben auch bonbonfarbene Schleime, die zu Menschen bzw. Halbschleimen werden können, wenn sie den „People Potion“-Zaubertrank trinken.

Während „Dragonhalf“ und „Bubblegum Crisis“ sich um eine zeitgemäße Umsetzung von female role models bemühen, fallen „Adventure Kid“ und „Urotsukidoji – Overfiend III, Die Rückkehr“, beide von Hideki Takayama (1992/1993), komplett auf Männerphantasien zurück. In „Urotsukidoji – Overfiend III, Die Rückkehr“ kann nur der Held das Böse besiegen, indem seine Schwester ihm telepathisch die Kraft weiterleitet, die dadurch entsteht, daß sie es von einem grünen Leichenberg der im Kampf geopferten Männer besorgt bekommt. Solcherart Trash zeigt vor allem die Seite der japanischen Anime-Kultur, die auf dem US- amerikanischen und europäischen (Schwarz-)Markt sehr beliebt ist.

Hier geht es nicht mehr um kontrast- und detailreiche Zeichnungen und Hintergründe, um Farbe, Witz, Ausdruck oder Inhalte. Statt dessen bekommt man eine Menge Sex und Gewalt zu sehen, manchmal tragen die Männer dabei auch Uniformen. „Es sollte ein bißchen was für jeden dabeisein“, so die Veranstalter, die nebenbei mit A.C.O.G. auch den größten deutschen Manga/Anime-Vertrieb leiten.

Manga-Festival von 30.1. bis 5.2. im Eiszeit Kino, Zeughofstr. 20, und im Central, Rosenthaler Str. 39. Programm siehe Cinemataz