Tödliche Verflechtungen

■ Vergangene Woche wurde ein argentinischer Foto-Journalist regelrecht hingerichtet. Die alarmierte Öffentlichkeit verfolgt die Ermittlungen mit Mißtrauen

Es sind viele Spuren, denen die Polizei von Buenos Aires nachgehen muß. Sicher ist bislang nur eins: Am frühen Morgen des vergangenen Samstag wurde der Foto-Journalist José Luis Cabezas (35) im argentinischen Badeort Pinamar entführt, auf dem Sitz seines Wagens gefesselt, mit einem Kopfschuß getötet und mit Benzin übergossen und verbrannt.

Der Mord an dem Journalisten, der für das illustrierte Nachrichtenmagazin Noticias arbeitete, hat die argentinische Öffentlichkeit alarmiert. Die Methode des Mordkommandos, eine brutale Hinrichtung, erinnert an die Praxis der Todesschwadrone zu Zeiten der argentinischen Militärdiktatur – und auch die möglichen Motive der Täter sprechen bislang für eine Verwicklung von Teilen der Sicherheitskräfte in den Mord.

Cabezas hatte am Samstag morgen um 5.10 Uhr ein Fest im Haus des Geschäftsmannes Oscar Andreani in Pinamar verlassen. Offenbar direkt vor dem Haus war er beim Einsteigen in seinen Wagen von mehreren Männern entführt worden – kaum 20 Minuten später war er tot. Das Auto war in einer kaum benutzten Seitenstraße auf dem Weg zum Meer abgestellt worden – in unmittelbarer Nähe des Ferienhauses von Eduardo Duhalde, dem peronistischen Gouverneur der Provinz Buenos Aires und Favoriten für die Nachfolge des Präsidenten Carlos Menem bei den nächsten Wahlen 1998. Dieser selbst fuhr morgens auf dem Weg zum Fischen an dem ausgebrannten Wagen vorbei – und versucht seither, möglichen Schaden von sich selbst abzuwenden. So hat Duhalde inzwischen die Belohnung für Hinweise auf die Täter auf 300.000 Dollar erhöht und möglichen Kronzeugen des Mordes Straffreiheit zugesichert.

Inzwischen glaubt niemand mehr an einen privaten Hintergrund des Mordes. Die polizeilichen Ermittler studieren eifrig sämtliche Ausgaben der Zeitschrift Noticias nach Anhaltspunkten, wem Cabezas mit seiner Arbeit geschadet haben könnte. Da dürften sie fündig werden: Im vergangenen Jahr war eine lange, von Cabezas mitrecherchierte Reportage unter dem Titel „Verdammte Polizei“ erschienen, in der recht detailliert die Verflechtungen der Provinzpolizei mit Verbrecherbanden und Drogenhandel geschildert wurden – genauso wie die Versuche der Polizei, die Ermittlungen im Fall des Sprengstoffattentats auf das jüdische Gemeindehaus 1994 zu verschleppen. Daß es diese Verbindungen gibt, weiß man in Argentinien. Wer jedoch im einzelnen dahintersteckt, kommt nur selten ans Tageslicht.

Laut Berichten der argentinischen Tageszeitung Pagina/12 sahen Zeugen am Morgen der Tat in der Nähe einen weißen Dodge- Lieferwagen. Der könnte tatsächlich eine Spur sein: Er ist zugelassen auf einen Polizeiunteroffizier der Provinz Buenos Aires. Dieser habe den Wagen, so schreibt Pagina/12, im Dezember vergangenen Jahres dazu benutzt, im Großraum Buenos Aires Kriminelle, Drogenhändler und Expolizisten zu kontaktieren, um sie anzuwerben, in den Sommermonaten – in Argentinien ist Januar die Hauptferienzeit – in den Badeorten der Küste als Bande zu operieren. Dieser Verbindung könnte Cabezas auf die Spur gekommen sein.

Zwar bestätigte der ermittelnde Kommissar, daß tatsächlich nach dem Lieferwagen und dem Polizeioffizier gefahndet wird. Doch die argentinische Öffentlichkeit, nach den Erfahrungen der Militärdiktatur ohnehin mißtrauisch gegen die Machenschaften der Sicherheitskräfte, vermutet noch ganz andere Kanäle hinter dem Mord. Bei einer Demonstration verschiedener Journalistenorganisationen zusammen mit den Angehörigen Cabezas' und den „Müttern der Plaza de Mayo“, an der sich vergangenen Mittwoch rund 2.500 Menschen beteiligten, lautete die Hauptforderung: „Schluß mit der Straffreiheit“. Die alte Parole der madres gegen die amnestierten Mörder des Militärs erlebt nach dem Mord an dem Journalisten eine landesweite Renaissance. Bernd Pickert