■ Die Visapflicht für Migrantenkinder löst keine Probleme
: Legalize it!

Die Diskussion um die Visapflicht für Jugendliche unter 16 Jahren wirft Licht auf einen unerfreulichen Zustand. Hunderttausende türkische Staatsbürger leben aus den unterschiedlichsten Gründen illegal in Deutschland. Über deren Lebenssituation wissen wir herzlich wenig. Die türkischen Interessenvertretungen schweigen sich trotz besseren Wissens lieber darüber aus. Aus Furcht vor ausländerfeindlichen Ressentiments, zum Teil aber auch aus purem ökonomischen Eigennutz.

Die Gesellschaft wäre allerdings gut beraten, die Tabuisierung der Illegalen nicht weiter hinzunehmen. Denn was sich in dieser, für viele nicht einsehbaren Welt abspielt, hat mit wünschenswerten Standards einer zivilen Gesellschaft herzlich wenig zu tun. Das Recht auf persönliche Integrität, Bildung, Gesundheitsfürsorge, Jugendschutz und arbeitsrechtliche Regelungen sind allzu häufig außer Kraft gesetzt. Weite Bereiche der ethnischen Ökonomie – Imbißläden, türkische Bäckereien etc. – profitieren von rechtlosen Arbeitssklaven, die der Willkür ihrer Arbeitgeber ausgeliefert sind. Längst haben sich hier durch die Hintertür frühkapitalistische Verhältnisse eingeschlichen, die, würden sie von deutschen Arbeitgebern praktiziert, zu Recht skandalisiert würden. Besonders fatal wirkt sich die Illegalität auf die Minderjährigen aus. Ohne Chance auf eine adäquate Schulausbildung, ohne Möglichkeit im Austausch mit der Gesellschaft soziale Kompetenzen zu erwerben, wächst hier ein Konfliktpotential heran, dem wir uns, ob wir nun wollen oder nicht, stellen müssen. Manfred Kanthers Durchführungsverordnung gegen die visafreie Einreise für Kinder unter 16 Jahren ist dabei allerdings wenig hilfreich. Schärfere Einreisebestimmungen und Personalkontrollen sowie Abschiebungen sind das falsche Signal. Die Bundesregierung wäre mit einem unaufgeregten und unkonventionelleren Umgang des Problems gut beraten. Denn es ist höchste Zeit, die Realität zur Kenntnis zu nehmen und die zum Teil seit Jahren hier lebenden Illegalen zu legalisieren. Was spricht dagegen, sie durch eine Amnestie aus dem Dunkeln in die Gesellschaft zu holen und die minderjährigen Domestiken in Zukunft der Schulpflicht und die Arbeitssklaven bundesdeutschem Arbeitsrecht zu unterstellen? Ein Preis wäre freilich zu zahlen: Der Döner und das Fladenbrot kostete künftig „beim Türken“ ein paar Groschen mehr. Eberhard Seidel-Pielen