: Power von der Eastside
■ Wer kennt schon Engerling und Biege? Im Osten einige, im Westen kein Schwein. Jetzt lebt der Ostrock wieder auf. Amiga hat "Die DT64-Story" herausgebracht
Wer weiß denn noch, wie es war?
Karl Marx glotzt von einem Hundertmarkschein, und Honecker ist nur in Umrissen zu sehen, kopiererschwarz. An der Wand über Honi und dem Hunderter hängt ein Plakat: Zwei Nackedeis vor einem blauen Trabant, darunter steht, natürlich in roten Lettern: „Ostrock find' ich stark.“
Im Büro von Wolf Dietrich Fruck (Wilmersdorf, Wittelsbacher Straße 18) hat der Osten überlebt. Muß er überleben. Fruck managt das Label Amiga und vermarktet das, was vom Ostrock übriggeblieben ist. Die Bands City und Silly, natürlich Karat und die Puhdys, aber auch Berluc, Prinzip, Merlin, Monokel, Zenit und Renft.
Fruck weiß, wie es war mit dem Ostrock. Beim VEB Deutsche Schallplatten war er beschäftigt, jetzt, seit gut drei Jahren, sorgt er bei der Hansa Musik Produktion GmbH, Geschäftsbereich Amiga, dafür, daß Engerling, Babylon und Transit wenigstens auf CD noch Gehör finden. Sein neuester Hit: die „DT64-Story“, eine 15teilige Sammlerkollektion mit allem, was im Osten Rang und Namen hatte. Teil eins (DT-Metronom), Teil zwei (Hard & Heavy) und Teil drei (Mitternachts-Blues) sind ab heute auf dem Markt. Die zwölf anderen (Politrock, Deutscher Demokratischer Beat, Pa-Rock-Tikum) werden bis Oktober nachgeschoben.
Amiga, im Osten so bekannt wie Coca-Cola im Westen, feiert in diesem Jahr das 50. Jubiläum, und der Ostrock feiert ein Revival. „Nach der Wende sind die Leute natürlich losgerannt und haben sich erst einmal die Beatles und die Stones gekauft.“ Alles ganz verständlich, sagt Fruck. Wie es jetzt ganz verständlich sei („viele sind vom Westen enttäuscht“), daß sich die Leute auf Ostrock zurückbesinnen. „Die Musik war ja nicht schlecht.“ Das belegen auch die Zahlen: 130.000 verkaufte Scheiben von „Best of City“ in fünf Jahren, 82.000 verkaufte Scheiben von „Best of Silly“ nach nur drei Monaten. „Natürlich liegt das auch am Tod von Tamara“, sagt Fruck und gibt zu: „Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust.“ Keine Frage, er freut sich über den guten Absatz von „Best of Silly“, aber... Der Tod von Front- und Powerfrau Tamara Danz hat Spuren hinterlassen.
Wer weiß denn noch, wie es war? Olaf Leitner, der ehemalige Rias-Musikredakteur, weiß, wie es war. Ein Faible für Ostrock hatte er immer. Musik von der Eastside hievte er in den Feindsender Nummer eins, „bei uns gab es keine Zensur, die gab es nur drüben“. 800 Mitschnitte von Jugendradio- DT64-Sendungen lagern noch heute in seinem Archiv. Das Reizvolle am Ostrock sei gewesen, sagt Leitner, zu beobachten, „wie antiautoritäre Musik unter einer reaktionären Kulturadministration“ entstehen konnte.
Renaissance des Ostrock? „Im Osten ja, im Westen hatte er nie eine Chance und keine Lobby.“ Wer eine Chance hatte, das waren die Prinzen. „Aber wer kennt in München schon Gundermann und Holger Biege?“ fragt Leitner.
Wolf Dietrich Fruck hat sich solche Fragen schon oft gestellt. 80 Prozent der Ostscheiben gehen im Osten weg, im Westen wird höchstens mal eine von Silly, City oder Karat verkauft. Aber was soll's? „Im Osten leben 16 Millionen. Der Markt ist groß genug.“ Und das Amiga-Repertoire ist es auch: 30.000 Longplays und gut 3.000 Alben. Jens Rübsam
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