Wand und Boden
: Von Genuß keine Spur – und auch nicht von Reue

■ Kunst in Berlin jetzt: Rüdiger Schöttle, Ludger Gerdes, Erzsébet Baerveldt, Josef Dabernig

Der Projektraum Berlin wirkt für das sonst schummrige Auguststraßen-Milieu aus Denkmalpflegern, Galerien und Investoren ungewöhnlich leicht und transparent. Durch die Glasfront kann man die gesamte Installation von Rüdiger Schöttle auf einmal überblicken. Das ist praktisch und hübsch und gehört zum Konzept des Münchners, der in seiner Heimatstadt selbst ein Galerie betreibt.

Auf sieben treppenartigen Podesten sind weiße Styroporbuchstaben zu einem Endlossatz kombiniert: Eine Frau schaut in lauter Regale, ohne sich auf einzelne Produkte konzentrieren zu können – „things flow about so here“ heißt es etwas ungelenk auf englisch im Resümee. Tatsächlich gibt der Text nur wenig von seiner Bedeutung frei, ebensogut kann man die Arbeit auch als geometrisch durchkomponierte Buchstabenskulptur verstehen (wobei die Schrifttype an Lawrence Weiner erinnert). Zugleich sind die aufsteigenden Sockel wie mit Kerzen übersäte Treppenstufen eines Altars angeordnet. Zur Kirche paßt wiederum, daß der Raum mit Schwarzlicht ausgeleuchtet ist und jedes weißgetünchte Wort um so heller strahlt. Ein Heiligtum der Moderne.

Wool & Water, bis 8.2., Do–Sa 14–19 Uhr, Auguststraße 35

Flüchtig starrt ein Fußgänger von der Straße in die Räume des NBK und rätselt über das leuchtende „OHNE“ aus gelben Buchstaben; dann zieht ihn sein Pitbull an der Leine mit sich fort. Vermutlich hat sich Alexander Tolnay die Wirkung der Neonobjekte von Ludger Gerdes anders vorgestellt, wenn er im Katalog bemerkt, daß die Arbeit von einer „Dialog- bzw. Kommunikationsbereitschaft“ handelt und es doch bei einer „existentiellen und vieldeutigen Offenheit beläßt“. Das klingt nach kunstgerechter Haltung, stimmt aber nicht ganz mit dem Konzept von Gerdes überein. Ursprünglich bestand die Installation aus mehreren Teilen, die 1993 in der Düsseldorfer Ausstellung „Deutschsein“ ein Statement bildeten: „ICHS NIE OHNE ANGST“. Damit war eher eine Situation der Enge gemeint.

Ansonsten ist Gerdes nur nebenbei mit Kommentar und Kritik beschäftigt. Der 1954 geborene Düsseldorfer studierte bei Gerhard Richter, nahm 1982 an der Documenta der „Jungen Wilden“ teil und steckt seither mitten in den Problemen der Malerei – wie soll man irgendein Ding abbilden, wo doch die Kunst selbst Wirklichkeit produziert? Gerdes verläßt sich bei seiner Suche nach legitimen Bildern auf die Romantik, etwa wenn er Karl Philipp Moritz zitiert: „Diese Tendenz nach Wahrheit, nach Beziehung und Ordnung in unsern Gedanken und Vorstellungen ist unser Instinkt, es ist ein Bestreben, wozu wir weiter kein Motiv haben, als die Natur unsres Wesens“. Das hört sich schwer nach Autonomie des Subjekts an und wird auf großformatigen „Diptychon“-Bildern mit allerlei sich überlagernden Maltechniken bestätigt. Gerdes wischt, tupft, trägt die Farben naß in naß auf und arbeitet illusionistisch mit gesetzten Lichtpunkten. Am Ende unterscheiden sich die Säulen- und Kreissegmente kaum von Richters „Kerze“, nur die Marschroute dorthin ist viel umständlicher. Aber immerhin, es ist ein Weg, selbst wenn man sich im Kreise dreht.

Bis 9.3., Di.–Fr. 12–18, Sa./So. 12–16 Uhr; Chausseestraße 128/129

Die Holländerin Erzsébet Baerveldt weiß ebenfalls einen Grund, um ohne Skrupel im Stil höfischer Porträts des 16. Und 17. Jahrhunderts draufloszumalen. Für ihre dreiteilige Serie „The Portable Grave“ hat sie in der ungarischen Gräfin Erzsébet Bathory eine Muse gefunden: Bathory wurde 1614 des Mordes und Vampirismus angeklagt; sie starb 54jährig im Gefängnis, bevor ihr Todesurteil vollstreckt wurde. Baerveldt hält den Prozeß für eine politische Intrige, vor allem aber hat sie sich mit der historischen Figur identifiziert.

Wie es der Malerei jener Zeit entspricht, in die sich Baerveldt imaginiert, gibt es auf ihren Bildern im Studio II des Künstlerhauses Bethanien versteckte Zeichen der Übereinkunft mit dem Modell. Stets liegt ein Buch auf dem Tisch neben der Gräfin, um die sich wechselnde Nachkommen immer neu gruppieren. Statt eines Titels steht Baerveldts Name auf dem Umschlag, weiter reicht die Durchdringung von Geschichte und Künstlerinnenleben nicht. Dabei kann man in Camille Paglias „Masken der Sexualität“ recht plausibel nachlesen, daß Bathory mit ihrem Wunsch nach ewiger Schönheit und Jugend das spätere Vorbild der lesbischen Vampirin im Film abgibt. Mehr noch, gerade ihre ziellose Triebhaftigkeit (angeblich hat sie über 600 Jungfrauen ermordet) macht sie zum Prototyp weiblicher Obsessivität, den die Künstlerin sublimieren oder gar durcharbeiten könnte. Wo Serienmord war, soll Serienmalerei werden. Baerveldt jedoch bildet bloß ab, wie zwei Personen miteinander verschmelzen. Keine Spur von Genuß, nicht einmal Reue.

Ähnlich schwer tut sich Josef Dabernig nebenan im Studio III, wenn er mit Fotos und Schriftstücken die Berliner Stadtplanung in Konzeptkunst überführt. Auf der einen Seite hängen sechs zentralperspektivische Aufnahmen von leicht verzerrten Ostberliner Fassaden, die wie neusachliche Ornamente ohne Orientierungspunkt geschichtet sind. Dieser formal-abstrakten Bauweise stellt der 1962 geborene Wiener eigene Recherchen gegenüber, eine Zettelsammlung mit Texten, die er aus alten Architektur- und Stadtführern der DDR abgeschrieben hat. Daß die Gebäude unter dem gleichen SED-Regime zu verschiedenen Zeiten anders bewertet wurden, ist nicht so erstaunlich, wie es die ideologiekritische Rekonstruktion vorgibt; der Wandel sagt eher etwas über wechselnde Parteilinien, „Tauwetter“ oder Postmoderne-Rezeption im Osten aus. Die Spannung ergibt sich vielmehr aus der Unvereinbarkeit von individueller Handschrift und staatlichem Auftrag. Am Kontext ändert sich in der Engführung jedoch nur wenig: Man kann ein Bild oder eben ein Haus auf viele Arten beschreiben. Aber das wußte schon Wittgenstein – und Brecht, mit seinem Gleichnis vom Elefanten.

„Ein Weib ist so alt, wie es aussieht“ und „Berlinführer“, bis 9.2., Mi.–So. 14–19 Uhr, Mariannenplatz 2 Harald Fricke