: "Ich will die wilde Mischung"
■ Ein taz-Gespräch mit Ilja Richter
Derzeit prangt Ihr Konterfei auf jeder Plakatwand in Berlin, Sie sind das alleinige Zugpferd für ein so großes Haus wie das Theater des Westens. Wie fühlen Sie sich?
Ilja Richter: Um ehrlich zu sein, ich habe darüber noch gar nicht nachgedacht. Während der recht harten Proben hatte ich dazu gar keine Zeit. Es gibt auch keine der bisweilen üblichen Klauseln in meinem Vertrag, an welcher Stelle und in welcher Größe mein Name zu erscheinen hat. Irgendwann wurde mir mal der Plakatentwurf gezeigt, und ich mußte darüber ein wenig schmunzeln. Ansonsten beschäftigt mich das weiter nicht.
Der frühe Ruhm, die Disco- Ära, die Klamaukfilme der siebziger Jahre, etwa mit Rudi Carrell und Theo Lingen, prägen Ihr Image bis heute, obgleich Sie auch ganz andere Dinge gemacht haben: Opernhörspiele für Kinder, klassisches Theater, Talkmaster beim Hessischen Rundfunk...
Autor für die taz...
War dieser frühe Erfolg für Ihre Karriere letztlich hinderlich? Erscheinen Ihnen diese Arbeiten als eine Art Jugendsünde?
Das ist nie ein Problem für mich gewesen, denn dies sind die Probleme der Außenwelt. In meiner Entwicklung beschäftigen mich hingegen Probleme meiner Innenwelt. Es ist letztlich das Problem von Menschen wie Ihnen, die danach fragen, es ist deren Nostalgie. Als Jugendsünde betrachte ich dies keineswegs. Ich habe ja keine goldenen Löffel geklaut. Sicherlich waren einige der Sketche reiner Klamauk oder platt. Manche wiederum waren wirklich gut. Wissen Sie, ich war damals jung, ich habe dies alles ausprobiert, Fehler gemacht, dazugelernt. Aber ich habe damit auch abgeschlossen. Diese Filme, deren Humor, das war eine Zeiterscheinung, die ich bedient habe. Heute würde das alles unter Comedy laufen. Kürzlich kam mir allerdings der Gedanke, daß ich mit diesen Sketchen mit so vielen verschiedenen Schauplätzen und Schnitten in drei, manchmal auch in einer Minute Länge vielleicht sogar die Videoclips von heute etwas vorweggenommen habe.
Wenn Sie beim Zappen mal bei Viva landen, mit welchem Gefühl sehen Sie Ihre Nachfolger?
Ich zappe eigentlich nie, das verabscheue ich nämlich zutiefst. Manchmal tue ich es dann doch und ermahne mich dabei, es seinzulassen. Mich macht das ganz nervös. Aber es ist letztlich auch ein Ausdruck unserer Zeit. Deshalb bewundere ich auch bestimmte Theatermacher so sehr, die noch den Mut haben, drei, vier oder manchmal gar fünf Stunden ihre Zuschauer zu bannen. Dort können Sie nicht wegzappen. Dieses Sich-Geschichten-erzählen-Lassen, das fasziniert mich sehr. Ich mache dabei aber keinerlei grundsätzlichen Unterschiede zwischen dem Ablach-Theater, wie es in der Komödie am Ku'damm stattfindet, den Off-Theatern und den Staatlichen Bühnen.
In der Diskussion um die Etatkürzungen bei den Theatern werden immer wieder private Musicaltheater gegen subventionierte Unterhaltungstheater ausgespielt. Haben die überhaupt noch eine Überlebenschance?
Es gibt einen deutlichen Pferdefuß bei den kommerziellen Musicals, der den anderen Theatern einmal wieder zu einem kräftigeren Galopp verhelfen könnte. Diese Theaterbetriebe wie Stella und Co. müssen ja über Jahre die Produktion spielen. Aber die Menschen aus dem Umland schauen sich das zusammen mit den Touristen ein- oder zweimal an, und dann hat es sich. Ich weiß doch gar nicht, ob ich mir dies wünschen sollte, denn auch das sind Arbeitsplätze, und immerhin findet da etwas Professionelles statt – doch nach einer gewissen Zeit wollen diese Menschen wieder etwas Neues sehen und gehen dann doch in ihr eigenes Theater – wenn es dann noch steht. Und einige werden überleben, und dann ist dies die Chance, die eigene Identität im Theater der eigenen Stadt wiederzuentdecken. Nicht das Verdienst einzelner ist dabei maßgebend, sondern dieser wirtschaftliche Faktor, wenn Menschen wieder vermehrt in die staatlich subventionierten oder kleineren privaten Häuser gehen.
Ihr erstes eigenes Kabarettprogramm liegt inzwischen einige Jahre zurück. Haben Sie darauf keine Lust mehr?
Irgendwann mal werde ich das sicher wieder machen. Aber vorerst kaum, weil ich mich jetzt mit Lust und Liebe auf das Solostück von Bodo Kirchhoff „Der Ansager einer Stripteasenummer gibt nicht auf“ einschieße, das ich ab April im Renaissance-Theater spielen werde. Es ist wieder ein neues Genre, obwohl es auch da ein paar Elemente gibt, die man mit Entertainment bezeichnen könnte. Ich bin auf diese Produktion sehr stolz; sie ist auch das Persönlichste, was ich jemals gemacht habe.
Der Ansager in diesem Stück überbrückt hartnäckig eine endlose Pause bis zur angekündigten Stripnummer und läßt dabei verbal die Hosen runter. Dieser Monolog erscheint mit seinen Bösartigkeiten und Einsichten wie die Lebensbeichte und Abrechnung eines erfahrenen TV-Moderators. Ist dies nicht doch eine Form der Auseinandersetzung mit Ihrem Image des Discostars?
In gewisser Weise schon. Es gibt so viele erstaunliche, scheinbar autobiographische Dinge in diesem Stück. Und doch habe ich es nicht geschrieben, sondern Bodo Kirchhoff. Aber viele Leute denken in der Tat, ich hätte es mir selbst ausgedacht oder Kirchhoff hätte es mir auf den Leib geschrieben.
Sie haben sich letztlich nie auf bestimmte Rollen festlegen lassen. Ist dieser fliegende Wechsel eine Form der Flucht vor der Vereinnahmung und Kategorisierung?
Ich habe in letzter Zeit so viele psychologische Dinge gemacht. Es ist herrlich, nach Ibsen, Mamet und Kirchhoff, nach diesen interessanten Schriftstellern, so etwas Naives, Lustiges und Schrilles wie dieses Sondheim-Musical zu machen. Ich sehe auch meinen Beruf so. Ich nenne das meinen ganz persönlichen Spielplan. Der muß bunt sein und ganz verschiedene Genres beinhalten. Wenn die einen sagen: „Oh, jetzt ist er ja seriös geworden!“, da kann ich dann nur sagen: „Leck mich!“ Was ist seriös, was ist unseriös? Wenn schlecht gespielt wird, das ist unseriös, aber nicht die Genres selbst!
Wie kamen Sie auf das Stück von Bodo Kirchhoff?
Bei einer Theatertournee habe ich es in einer Bahnhofsbuchhandlung entdeckt, gelesen und Kirchhoff angerufen und gesagt: „Ich möchte gern Ihr Stück spielen!“ Ich habe ihn in Frankfurt dann kennengelernt. Es gab andere interessierte Theater, und dann hat er mir aus dem Bauch heraus die Uraufführungsrechte überlassen. Die Uraufführung am Düsseldorfer Schauspielhaus war ein großer Erfolg. Ich möchte im Berliner Renaissance-Theater auch noch ein bißchen mehr diese Mischung von Publikum provozieren, die ich gerne hätte, weil sie dem Stück entspricht: eine wirklich wilde Mischung von bürgerlichem Publikum, bunten Nachtfaltern, Schwulen, Lesben. Bunt, wie das Leben ist, weil dieses Stück auch davon handelt: von Einsamkeit, von den Merkwürdigkeiten des Lebens.
Verfolgen Sie bereits Pläne und Projekte über den „Ansager einer Stripteasenummer“ hinaus?
Ich möchte immer wieder mal Musical machen, aber mich nicht schon wieder in Kategorien festlegen! Das ist ja so langweilig! Neuland! Neuland! Vielleicht kommt ja mal ein Stück von mir heraus! Um ehrlich zu sein: Ich habe es bereits geschrieben, und ich will und werde es auf eine Bühne stellen.
Mit Ihrer Mutter haben Sie 1989 das satirische Buch „Der deutsche Jude“ veröffentlicht. Haben Sie damals auf diese locker- kabarettistische Darstellung deutsch-jüdischer und privater Familiengeschichte auch verstimmte Reaktionen erhalten?
Ja, in der taz. Der berühmte Professor Alphons Silbermann schlug kräftig zu, und es gab einen verräterischen Satz in dieser vernichtenden Kritik, nämlich daß er mich im Fernsehen noch nie leiden konnte. Da dachte ich: „Aha, Silbermann, ick hör' dir trapsen!“ Hast sowieso schon immer Schwierigkeiten mit mir gehabt, und nun wildere ich auch noch in den Gefilden der Schreibenden. Unerhört! Die Entscheidung, einem Silbermann die Rezension zu überlassen, ist ganz typisch für ein sich – zumindest damals – linksalternativ gebendes Blatt, aber auch die bürgerlicheren Blätter mit linksliberalem Anstrich wie die Münchener Abendzeitung haben da ähnliche Verhaltensmuster an den Tag gelegt, und das tun sie auch in Zukunft: Wenn ein Stoff jüdischen Inhalts kritisiert werden soll, dann schickt man einen Juden vor; wenn er es negativ kritisiert, ist er vom Fach und darf, und wenn er es postiv kritisiert, dann ist er auch vom Fach und darf es auch.
Aber einen nichtjüdischen Kritiker hinzuschicken, das riskieren diese Zeitungen teilweise nicht, womit eine hübsche unappetitliche Variante des noch immer nicht verarbeiteten Faschismusfaktors schlimme Blüten treibt. Ich habe sehr gute Kritiken bekommen von Nichtjuden. Die Juden waren immer ein bißchen strenger. Vielleicht weil sie selber Bücher geschrieben haben oder es aber gar nicht bemerkt haben, daß sie als ethnic idiots losgeschickt worden waren, vor lauter Schiß, man könnte im Blatt was Antisemitisches haben.
Mit welchem Gefühl haben Sie nun die Debatte um das Holocaust-Denkmal und die Gedenkstätte „Topographie des Terrors“ verfolgt?
Ich habe 1.000 Mark gespendet.
Ist für Sie diese Debatte ähnlich vorbelastet, wie Sie dies eben am Beispiel Ihres Buches „Der deutsche Jude“ erläuterten?
Das kann ich nicht so beurteilen. Mögen Sie es für oberflächlich halten, aber ich hatte im Laufe der zwei Monate Probezeit für „Toll trieben es die alten Römer“ nicht die Gelegenheit, dies näher zu verfolgen. Vielleicht habe ich es auch nicht näher an mich herangelassen. Interview: Axel Schock
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