Die Wahrheit hinter der Idylle

■ Dolgenbrodt: Zum erstenmal erfährt die Öffentlichkeit, wie sich Dorfbewohner zur Brandstiftung auf eine Unterkunft für Asylbewerber verabredeten. „Der Wille des Volkes ist unser Auftrag“, begründete einer die Tat

Berlin (taz) – Als der rechtskräftig verurteilte Brandstifter Silvio Jackowski letzte Weihnachten allein zu Hause saß, beschlich ihn „ein schlechtes Gewissen“. Vor ihm lag die Ladung der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder. Nun sollte er noch einmal in jener Sache als Zeuge vernommen werden, für die er bereits 1996 in einem Indizienprozeß zu zwei Jahren Jugendstrafe verurteilt worden war, ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung: dem Brandanschlag auf das bezugsfertige Asylbewerberheim in Dolgenbrodt. Jackowski hatte damals nicht gesagt, was er in jener Nacht getan hatte. Jetzt aber wollte er auspacken. Sieben Stunden redete er mit Staatsanwältin Marx. „Danach habe ich mich so frei gefühlt wie nie zuvor“, sagt Jackowski heute.

Trefflich, so Jackowski gegenüber der taz, hat sein Freund Marco S. am 23. Oktober 1992 die Stimmung nach der schicksalhaften Bürgerversammlung auf den Punkt gebracht: „Der Wille des Volkes ist unser Auftrag.“ Es sei klar gewesen, daß man die Wut gegen die kommenden Asylbewerber habe in Flammen aufgehen lassen müssen: „Da brauchten wir keine langen Verabredungen.“ Einige Tage nach der Versammlung inspiziert er mit dem Vater von Marco S. am Abend das Asylbewerberheim. Es lag gleich neben dem Grundstück des Blumenhändlers Thomas O., umzäunt von Stacheldraht. Nach der Inspektion seien sie bei O. vorbeigegangen. Der Blumenhändler habe gesagt: „Geld ist da.“ 2.500 Mark werden geboten. „Wo es was zu verdienen gibt, bin ich dabei“, Jackowskis Lebensmotto gilt heute noch. Er fährt nach Königs Wusterhausen und sucht sich einen Helfer. Von Renato P., einem Oberskinhead, weiß er, „daß der für Geld alles macht“. Wie er selbst. Man verabredet sich für den kommenden Samstag.

An diesem Mittag sitzt Silvio Jackowski bei Familie S. in Dolgenbrodt. Jürgen, der Vater, hat schon alles vorbereitet. In der Garage stehen ein Kanister mit Heizöl und leere Spiritusflaschen. „Ich bin noch schnell zur Tankstelle und habe Benzin geholt.“ Als Jackowski zurückkommt, sind die Spiritusflaschen bereits voll. Sie kippen noch Benzin hinzu, stopfen Putzlappen als Zündschnur hinein und stellen die Molotowcocktails in einen alten Kohleeimer. Gegen 18 Uhr verabschiedet sich Silvio, packt die Fracht in sein Auto und fährt nach Hause. „Gegen Mitternacht habe ich P. in Königs Wusterhausen in der Spielhalle ,Progreß‘ abgeholt.“

Gemeinsam fahren sie nach Dolgenbrodt, halten am Waldrand, „peilen die Lage“, gehen zurück zum Auto und holen den Kohleeimer. „Ich habe den Eimer am Zaun abgestellt und bin zurück zum Auto.“ Mollis will er keine geworfen haben. „Mein Auftrag war es, beim Auto zu bleiben, um schnell abhauen zu können“, sagt Jackowski. Blitzschnell hat P. „zwei, drei Fenster eingeworfen und die Mollis hinterhergeschmissen“. Als sie wegfuhren, hat das Haus bereits lichterloh gebrannt.

Früh am nächsten Morgen will er dann den versprochenen Zaster sehen. Blumenhändler O. reicht ihm ohne Umschweife einen Umschlag. Im Auto zählt Jackowski laut nach: „2.000 Mark, 500 zuwenig“. Er fährt zu P. und gibt ihm dessen Anteil: „800 für mich, 1.200 Mark für ihn“. Auftrag erledigt. Dolgenbrodt hat Ruhe.

Nicht lange. Am 24. August 1993 enthüllt die taz den Brandanschlag. Jackowski kommt hinter Gitter, wird aber im Juni 94 auf freien Fuß gesetzt. Die Beweislage reiche nicht zu einer weiteren Untersuchungshaft, meinte das Jugendgericht. „Ohne Geld, ohne Wohnung stand ich da.“ Silvio Jackowski bespricht sich mit seinem Freund Marco S. Kurz darauf meldet sich Blumenhändler O. und übergibt ohne große Worte 4.000 Mark. „Immer, wenn ich Prozeßtermine hatte, rief O. an.“ Es kommen noch einmal 3.000, 2.000 und 1.000 Mark zusammen. „Ich hab' sie zittern lassen.“ Elektromeister G. soll mit 300 Mark dabeigewesen sein. Der Mann sitzt seit Donnerstag in Untersuchungshaft. Ihm wird vorgeworfen, in den Prozessen gegen Jackowski falsch ausgesagt zu haben, außerdem muß er sich wegen Beihilfe zur Brandstiftung verantworten. Seit zwei Wochen schweigt der verhaftete Blumenhändler O. Er soll einer der Drahtzieher sein. Jürgen S., der Heizer, stand gestern zum zweitenmal vor dem Haftrichter. Auch er soll ein Anstifter sein, sagt Staatsanwältin Marx. Marco S., der Sohn, wird ebenfalls der Brandstiftung bezichtigt.

P. sitzt heute wegen einer anderen Sache im Knast. Was er zu den Vorwürfen sagt, ist nicht bekannt. Verantwortlich im moralischen Sinne fühlt sich Silvio Jackowski nicht. Sachschaden habe er verursacht, zugunsten einer „vernünftigen Lösung“. Wie es auch vernünftig für ihn erscheint, jetzt die Wahrheit zu sagen. Mit einer einer falschen Aussage würde Silvio Jackowski seine Bewährung riskieren.

Annette Rogalla Tagesthema Seite 3

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