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Durch Deutschland immer geradeaus

■ Überlebt im Versteck: Drei holländische Juden zu Besuch in Bremen / Über die schwierige Suche nach dem Ich und das Verhältnis zu den Deutschen / Ein Interview im Nachtrag zu den Biografien in der taz vom 1.2.97

Rozette Kats, Jaap Walvisch und Daan de Jong – drei Überlebende des Holocaust, als Kinder versteckt. Danach: die schwierige Suche nach dem Ich, nach der eigenen Geschichte, nach dem Ausgang aus dem inneren Versteck. Schmerzhaft, traurig, einsam. Dann das Jahr 1992, ein Kongreß der untergetauchten Kinder. Und plötzlich die Erkenntnis, nicht alleine auf der Welt zu sein. Plötzlich gab es Brüder und Schwestern. Rozette Kats, Jaap Walvisch und Daan de Jong waren am vergangenen Montag, dem Holocaust-Gedenktag, zu Gast in Bremen. Wir holen hier ein Interview, das auf der Sonderseite am Samstag zu dem Thema hätte stehen sollen, nach. d. Red.

taz: Wie ist es für Sie, nach Deutschland zu reisen? Wie war es vor dem Kongreß, wie ist es jetzt? Und macht es einen Unterschied, wenn Sie junge oder alte Deutsche treffen? Solche über siebzig, die dabeigewesen sind.

Walvisch: Das war immer ein Problem. Ich fahre durch Deutschland immer geradeaus. Wenn ich Deutschen begegnet bin, dann bin ich immer sehr aggressiv geworden. Spätestens nach zehn Minuten gab es einen ganz großen Krach.

Über die Geschichte, oder war das Thema egal?

Walvisch: Ganz egal. Anders war es nur mit einem jungen Deutschen aus Berlin. Den habe ich kennengelernt, als ich vor zwölf Jahren nach Israel gefahren bin. Auf dem Schiff sind wir ins Gespräch gekommen. Mit ihm habe ich viele Stunden geredet. Das war das erste Mal, daß ich überhaupt ruhig bleiben konnte. Er erzählte von seinen Eltern und seinen Großeltern, daß die auf der falschen Seite gewesen sind. Beim fünfzigsten Jahrestag der Befreiung gab es eine Diskussion, offizielle deutsche Vertreter nach Holland einzuladen, um gemeinsam zu gedenken. Dazu gab es eine kleine Konferenz von Juden. Es war sehr emotional. Ein Argument war: Das ist nicht gut für uns, das ist nicht gut für unser Gefühl. Das war der Moment, an dem ich nun wiederum dachte: Es ist ganz schlecht, so verstockt zu sein. Verstehen Sie nicht falsch, Deutschland ist schlecht. Aber da ist mir bewußt geworden, daß man reden muß. Also haben wir diskutiert, was wir machen können. Und jetzt muß Rozette erzählen.

Kats: Ich kannte einen Deutschen, der in der Anne-Frank-Stiftung arbeitet. Eine sehr vertrauenswürdige Person. Ich habe ein Treffen mit ihm vorgeschlagen, und so ist es auch gekommen. Er hat dann auch im letzten Jahr an einem Treffen mit Bremer Lehrern teilgenommen, die nach Amsterdam gekommen sind.

de Jong: Für mich war das Verhältnis zu den Deutschen ganz anders. Als ich 16 und älter war, da bin ich ein, zwei Monate per Autostop durch Europa gereist. Ich fand es immer aufregend, bei einem Deutschen im Auto zu sitzen und mit ihm über die Vergangenheit zu reden. Ich dachte wohl, daß ich mehr über die dunkle Welt erfahren könnte, in der meine Eltern verschwunden sind. Diese Aufregung habe ich noch immer. Ich will noch immer eine Konfrontation mit denjenigen, die das damals getan haben. Das ist auch beängstigend. Aber ich fühle mich in der Welt von heute absolut sicher.

Sie sagen, Sie wollen mit denjenigen reden, die das damals getan haben. Heißt das für Sie Konfrontation mit den Deutschen allgemein oder Konfrontation mit den alten Deutschen?

de Jong: Mit den alten. Mit der Generation nachher ist es ein anderer Austausch. Da gibt es etwas Gemeinsames. Wir sind gemeinsam von der Kriegsgeschichte getroffen worden. Ihr habt anders darunter zu leiden als wir. Aber ihr seid auch getroffen worden. Das war auch unsere Erfahrung mit den Bremer Lehrern. Das ist ein bißchen wahnsinnig – aber wir hatten diese Leute trösten müssen. Ein kaputtes Selbstbild: Die können sich nicht mehr als Deutsche im Spiegel sehen.

Wie ist das bei Ihnen, Herr Walvisch, mit den jungen und den alten Deutschen.

Walvisch: Schlimm, immer schlimm.

Und das Alter der Deutschen macht da keinen Unterschied?

Walvisch: Kaum. Leider. Leider.

Hat es Sie sehr viel Überwindung gekostet, die Einladung nach Bremen anzunehmen? Walvisch: Nein. Nach dem Gespräch mit den Lehrern nicht mehr. Das ist ein Lernprozeß. Ich hoffe, da weitergehen zu können.

Kats: Ich hatte nie über Deutschland nachgedacht. Ich war auch nie da, bis ich irgendwann in den Achtzigern mit einer alten Freundin nach Deutschland gereist bin. Sie hat während des Krieges viel Widerstandsarbeit geleistet und war sehr befreundet mit Sozialdemokraten und jüngeren Leuten aus Deutschland und mit deutschen Juden, die es überlebt haben. Ich bin mit ihr gefahren. Es war sehr schön in diesem Kreis. Die Leute waren alle gut – Sie wissen, was ich meine. Auf der Rückfahrt haben wir in einem Bauernhof übernachtet. Und der Wirt hatte richtig das Bedürfnis zu erzählen, daß er auch in Holland gewesen ist, überall. Dann hat meine Freundin gefragt, weshalb er dagewesen ist. Na ja, es hat sich rausgestellt, daß er als Besatzer da war. Und ich – schon auf dem guten Wege – konnte nicht ein Wort sagen. Ich konnte einfach nicht. Ich bin weggegangen. Und wir sind wirklich durcheinander nach Hause gefahren. Das war meine einzige bewußte Begegnung mit einem Täter, und ich konnte nichts sagen. Nur weg, weg.

Sie haben gesagt, Sie fühlen sich sicher, Herr de Jong. Nun gab es ja zwei Phasen in der jüngeren deutschen Geschichte, bei denen ich mir eine ziemliche Verunsicherung vorstellen kann: die Wiedervereinigung und die Serie von Anschlägen und Brandstiftungen vor allem auf Asylbewerberheime.

de Jong: Ja, beides war bedrohlich. Ich fand es eine gute Idee, daß Deutschland zweigeteilt war. So groß ist mein Vertrauen in die Zukunft doch nicht, daß ich in Deutschland keine Gefahr sehen würde. Das ist sicher durch die Attentate bestätigt worden. Aber ich muß auch sagen, daß die Anti-Reaktion in Deutschland etwas sehr beruhigendes ist.

Sie haben sicher von der Diskussion über die Wehrmachtsausstellung gehört. Wie geht es Ihnen dabei?

de Jong: Daß auch Wehrmachtssoldaten aktiv am Judenmord mitgewirkt haben, das gehört zu den Grundlagen der Geschichte. Und daß es jetzt Gegenreaktionen gibt, das ist für mich ein Beweis, daß die Deutschen mit ihrer Vergangenheit immer noch nicht richtig konfrontiert worden sind. Man hat sich immer noch nicht die wichtigsten Fragen gestellt und von den wichtigsten Antworten noch keine blasse Ahnung. Ein deutlicheres Beispiel als die Diskussion um die Wehrmachtsausstellung kann es gar nicht geben. Fragen: J.Grabler

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