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Anderland ist abgebrannt

Die Frauen bergen die Reste: Mit seinem Teatr Kreatur inszenierte Andrej Woron „Merlin, eine andere Geschichte“ im Berliner Theater am Ufer  ■ Von Petra Kohse

Es ist die Geschichte von der warmen und der kalten Sonne. Die eine hängt links über der Bühne im Berliner Theater am Ufer und sendet in freundlichem Gold züngelnde Strahlen aus. Rechts aber herrscht ein Kampfschild aus bösem Silber, mit zornigen, kurzen Strahlen. Die warme Sonne gehört zu Merlin, die kalte zu Viviane – Figuren aus dem keltischen Anderland, die unter die Menschen gehen, um ihnen das Glück zu zeigen, doch am Ende wurden nur Puppen in die Schlacht geführt. Eine alte Geschichte, eine vertrackte Geschichte von Ideal und Politik, vom Fest und dem Morgen danach, wobei Merlin die Einladungen verschickt hat und Viviane der Abwasch bleibt.

Vierzehn Monate hat es gedauert, bis Andrej Woron mit seinem Teatr Kreatur eine neue Produktion herausbringen konnte. Dem „Prophet Ilja“ folgte mit „Merlin, eine andere Geschichte“ nun ein weiteres Stück von Tadeusz Slobodzianek, und die Premiere am letzten Freitag war gleich eine dreifache. Denn es wurde nicht nur eine neue Inszenierung des 44jährigen polnischen Regisseurs, Bühnenbildners und Malers Andrej Woron vorgestellt, sondern auch das Theater am Ufer, eine Kreuzberger Fabriketage, präsentierte sich nach Umbau und Renovierung in gediegenem Glanz.

Außerdem und drittens hat Woron mit „Merlin“ erstmals Osteuropa als geistigen Raum seiner Geschichten verlassen. Keine Sehnsuchtsrhythmen von Janusz Stoklosa mehr, zu denen eine Gesellschaft aus lebensgroßen Puppen, puppengleich geschminkten Darstellern und wundersamen Maschinchen sich traurig und lebenshungrig im Kreis dreht wie in den Arbeiten, für die Woron berühmt wurde: „Die Zimtläden“ nach Bruno Schulz oder „Das Ende des Armenhauses“ nach Itzik Manger, das als erste Arbeit einer freien Gruppe 1992 zum Theatertreffen geladen wurde.

Jetzt also etwas weniger Seele und mehr Kalkül, gleichwohl die volle leibliche wie geistige Sehnsucht, so daß auch das legendäre Britannien irgendwie in Polen liegt. Merlin, der Druide und Königsmacher, Sohn des gefallenen Engels Luzifer, ist hier vor allem ein List- und Lustgreis, der Schicksal spielt, um die schöne Viviane zu gewinnen. Und Viviane selbst, eigentlich die Zauberin vom See und Besitzerin des Schwertes Excalibur, ist bei Slobodzianek Merlins Schülerin, eine religiöse Schwärmerin, die über ihre Ehre wacht.

Adolfo Assor gibt den Merlin als senilen Faun. Quietschvergnügt kürt er den Outsider Artus zum König von Britannien (die Schwertprobe!) und schickt die Ritter der Tafelrunde kichernd auf Gralssuche, da er den Gral unter seinem eigenen Stühlchen wohlverwahrt weiß. Danach rollt er sich zum Schlafen zusammen und wähnt die Erde ein Himmelreich. Ein Irrtum, für den Viviane büßen muß, wenn sie das Spiel übernimmt und im Zeichen der kalten Sonne kaum nachkommt, Kampf, Not und Mord zu beschreiben, der statt des Ehrenkodex bald unter den Rittern herrscht.

Worons Ritterschar ist eine doppelte. Die Darsteller führen meterhohe, holzgeschnitzte Puppen mit sich, für die sie sprechen, für die sie handeln, wobei sie das eigene Spiel stets auch kommentieren. Drei Ebenen, die differenziert gefüllt werden wollen. Das aber kann nicht jeder, und so herrscht in dem balladenhaften Stück, in dem die komisch-katastrophalen Erlebnisse der sieben in ähnlichem Wortlaut erzählt werden, statt der Archetypik bloße Typenkunde. Der Dicke, der Doofe oder der Wilde begegnen bei der Gralssuche sich selbst, befreien Jungfrauen von gerade solchen Ungeheuern, die ihre eigenen Waffenschilde zieren, und lernen nichts daraus. Im Holzschnitt den Charakter zu zeigen brächte Tiefenschärfe, doch Woron beläßt es beim Kartoffeldruck.

Ein riesiger Webrahmen steht zwischen den Sonnen auf der Bühne, ein herrliches Sinnbild für die Ewigkeit. Aber nur selten schaben die Rittersfrauen daran mit ihren Schiffchen. Diese Frauen, die die Wappen ihrer Männer um den Hals tragen, könnten der Akkord sein, auf dem sich Susanna Capursos Viviane erhebt. Mit Silberhaar spielt sie den Todesengel, kann die Liebe zwischen Ginevra und Lancelot nicht retten und schließt den sich abschlachtenden Rittern die Augen. Wie Capurso über die Bühne fliegt, wie es ihr gelingt, ihren immer gleichen Abschiedsworten immer neue Kraft zu geben, ist als Schwanengesang der Ohnmacht phänomenal.

Dies möglicherweise wäre das Thema: wie Frauen das Ende vom Lied verwalten, wie sie standhalten, wo es für sie nichts zu entscheiden gibt. Über allem Ritter- und Puppenspiel hat Woron jedoch vergessen, den Chor der Frauen wirklich zu inszenieren und seinen eigenen Webrahmen als Fixpunkt des Bilderreigens zu verankern. So fliegt alles auseinander, Holzsplitter prasseln auf die Bühne, erst ist es putzig, dann traurig, die Silbersonne brachte Kälte, tragische Klarheit brachte sie nicht.

„Merlin“. Von Tadeusz Slobodzianek. Regie und Ausstattung: Andrej Woron. Teatr Kreatur im Theater am Ufer, Berlin

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