■ Kairo im Monat der öffentlichen Armenspeisung
: Streit um die Tische der Gnade

Kairo (taz) – Jeden Tag kurz nach Sonnenuntergang im islamischen Fastenmonat Ramadan schlägt in Kairo die Stunde der Armen: Dann versammeln sich die Habenichtse der Stadt vor einer der zahlreichen Moscheen zum Essenfassen. Damit sich die unteren Millionen wenigstens einen Monat lang von anderen Nahrungsmitteln als braunen Bohnen, Zwiebeln und Brot ernähren können, haben viele der islamischen Bethäuser eine Armenspeisung eingerichtet. Jedes Jahr läßt sich so an dem Treiben an Tischreihen, die dort auf offener Straße unter freiem Himmel aufgebaut wurden, die wachsende Verarmung der Stadt atmosphärisch messen.

In den letzten Jahren haben die von den Moscheen eingerichteten „Tische der Gnade“ Konkurrenz bekommen. Zu einer Mahlzeit bitten nun immer mehr reiche Geschäftsleute, Politiker, Schauspieler und andere wohlsituierte Bürger des Landes. Bisher zum Vorteil der Konsumenten, wetteifern die prominenten Reichen des Landes um die Anzahl der abzuspeisenden Armen. Den Rekord hält eine Gruppe von Geschäftsleuten, die an ihrem Tisch direkt vor dem Kairoer Schützenklub täglich 1.500 Esser versorgen.

Der Drang der High Society, im heiligen Monat Gutes zu tun, läßt sie mitunter zu ungewöhnlicher Form auflaufen. Ungeahnte Dienstleistungen werden den Mittellosen zuteil. So hat sich dieses Jahr sogar eine Art Lieferservice eingebürgert für jene Schwachen und Alten, die es nicht aus eigener Kraft bis zur nächsten öffentlichen Gnadentafel schaffen. Schätzungen gehen davon aus, daß inzwischen bis zu 10.000 dieser gütigen Tische landesweit pro Ramadan bis zu sechs Millionen Menschen speisen.

Das Ganze würde zum Wohle aller gereichen. Das Gewissen der Reichen wäre ebenso befriedigt wie die Mägen der Armen – wären da nicht einige konservative Scheichs, denen nicht alle Tafeln genehm beziehungsweise bestimmte Gönner ein Dorn im Auge sind. Im Kern der Überlegungen stand diese Frage: Darf man das von einer Bauchtänzerin gestiftete Essen unbedenklich zu sich nehmen? Der Präsident der Azhar-Universität, Omar Haschem, hat jetzt dazu ein klares Nein geäußert. Muslime sollten das Essen, das ihnen von Bauchtänzerinnen gestiftet wird, ablehnen, ließ der Chef der Islamischen Universität verlauten. Auch die Kost jener, die durch Zinsgeschäfte und Drogenhandel reich geworden sind, müsse in Zukunft verschmäht werden.

Welch Tragik für die Armen, zählt doch gerade der Tisch der bekanntesten ägyptischen Bauchtänzerin, Fifi Abdou, zu den reichhaltigsten. Die 45jährige hat sich in den letzten Jahren nicht nur durch ihre akrobatische Bauchgymnastik, sondern auch durch einen hochqualitativen „Gnadentisch“ einen guten Namen gemacht. Bis zu umgerechnet 15 Mark soll sie pro Mahlzeit mitunter aufbringen, ein Viertel eines monatlichen Lehrergehalts.

Eine Brise Panik dürfte nun auch durch die Korridore des örtlichen Finanzamtes ziehen, falls die Scheichs in Zukunft auch die Steuern der Bauchtänzerinnen als „haram“ – islamisch: tabu – erklären. Nach einem Bericht des arabischen Magazins Al-Wasat zahlen die zwölf Top-Bauchtänzerinnen des Landes jährlich 130 Millionen Mark an den ägyptischen Fiskus. Damit steht ihre von den Scheichs angegriffene Branche an sechster Stelle der steuerzahlenden Berufszweige. Das und der Hunger der Armen dürften garantieren, daß die konservativen Scheichs mit der Tabuisierung von Bauchtanzeinkünften wohl diesmal den kürzeren ziehen werden. Karim El-Gawhary