Wie man in China heute nein sagt

Unzufriedenheit mit der Regierung, Wut auf die USA und aufkeimender nationaler Stolz: Ein fünfköpfiges chinesisches Autorenteam schrieb einen Bestseller, der bissig die Stimmung der Post-Tiananmen-Jugend beschreibt  ■ Von Jasper Becker

In die eintönige und reglementierte chinesische Verlagswelt schlug im Mai 1996 das Buch „China kann nein sagen – Politische und gefühlsmäßige Möglichkeiten nach dem Kalten Krieg“ ein wie eine Bombe. Die unverblümte, bissige und nationalistische Polemik reflektiert die Stimmung eines großen Teils der Post-Tiananmen- Jugendlichen Chinas.

Das Buch wurde innerhalb von drei Wochen von fünf Autoren geschrieben: Zhang Xiaobo (Schriftstellername Zhang Zang Zang), Song Qiang, Qiao Bian und zwei weiteren, die anonym blieben. Innerhalb eines Monats wurden über 100.000 Exemplare verkauft und machte seine Autoren über Nacht berühmt. Der weitschweifige, manchmal witzige und oft widersprüchliche Text spiegelt wider, was die rebellierenden Studenten der Achtziger heute fühlen: eine versteckte Unzufriedenheit mit dem Regime, Wut und Enttäuschung über die USA und einen wachsenden Stolz auf Chinas Errungenschaften.

Die Autoren Zhang und Song sind inzwischen 32 Jahre alt und waren Kommilitonen an der Ostchinesischen Universität in Shanghai. Keiner von ihnen ist Parteimitglied – allerdings war Song früher Mitglied der Jugendliga und behauptet heute von sich, Buddhist zu sein. Song hat chinesische Literatur studiert, heute ist er Rundfunkredakteur eines Regionalsenders in seiner Heimatstadt Chongqing. Zhang hat inzwischen seinen Job bei der chinesischen Kultur- und Kunstföderation gekündigt und sein eigenes Unternehmen gegründet, das zur Zeit eine Reihe von Übersetzungen moderner französischer Literatur vertreibt. Er ist selbst Dichter und Schriftsteller und hat sowohl Lyrik als auch Prosa veröffentlicht, zuletzt den Roman „Der Fluß, in dem täglich ein Kind ertrank“. Er ist ein streitlustiger Mann, der gerne viel und schnell spricht.

Der ungeheure Erfolg ihres Buches inspirierte Nachahmer – woraufhin die Autoren im selben Jahr schnell ein zweites Buch nachschoben: „China kann immer noch nein sagen“. Darin wird als Hauptgegner Japan ausgemacht. Die Autoren vergleichen die Errichtung eines Leuchtturms auf der Insel Diaoyu – um die sich China und Japan streiten – durch japanische Extremisten mit Hitlers Militarisierung des Ruhrgebiet, die Deutschland auf den Kurs militärischer Expansion gebracht hatte.

Sie fordern den Schutz der Insel und greifen die chinesische Diplomatie als zuwenig entschieden an. Sie schlagen statt dessen eine starke „Volksdiplomatie“ vor mit Massenaktionen aller möglichen Gruppen. „Diplomatie darf nicht nur von Experten betrieben werden“, schreiben sie. „Ihre Priorität muß immer der Schutz nationaler Interessen sein.“ Und setzen dann gleich noch eins drauf: „Die ,Gentlemen‘ werden jetzt natürlich die Augenbrauen hochziehen und seufzen: ,Das würde die chinesisch- japanischen Beziehungen nur verschlechtern.‘ Aber was ist in Zeiten wie den unsrigen wichtiger: Sich ein für alle mal Respekt zu verschaffen oder kurzfristigen ökonomischen Interessen nachzugehen? Wir können alle Chinesen in zwei Kategorien einteilen: in die echten Chinesen und die Wendehals-Chinesen, die von einem Augenblick zum anderen zu Verrätern werden.“

Solche infantile Kraftmeierei könnte noch ganz witzig sein, wäre nicht allzu klar, daß den Autoren von der Führung der Kommunistischen Partei der Rücken gestärkt wird. In einem Land, das sich schon unter Mao (und vielen Herrschern vor ihm) in gefährlicher und gewalttätiger Fremdenfeindlichkeit gefiel, machen solche Töne ausländische Diplomaten hellwach. Aber auch vielen Chinesen ist nicht wohl dabei. Sie durchschauen, daß diese jungen Intellektuellen sich von zynischen Linken benutzen lassen, die China in alte Fahrwasser zurückbugsieren wollen. Die Liberalen sind der Ansicht, weniger Vertrauensseligkeit gegenüber den alten Parteigenossen stünde den jungen Leuten besser zu Gesicht, als dem Ausland für alle Probleme des Landes die Schuld zuzuschieben.

Jasper Becker ist Peking-Korrespondent der „South China Morning Post“ und Autor des Buches „Hungry Ghosts“ (London 1996)