Einsicht in Sicht

■ Seit 155 Jahren dulden die Wiener Philharmoniker keine Frauen in ihren Reihen. Aber der Widerstand dagegen wächst

„Diese Amerikanerinnen sollen doch erst einmal dafür sorgen, daß in ihre Rugby-Mannschaften Frauen aufgenommen werden“, wetterte Alfred Koll vom österreichischen Kultusministerium noch Anfang Januar, als der Widerstand gegen die geplante USA-Tournee der Wiener Philharmoniker immer weitere Kreise zog. Der Grund: In dieser traditionsreichen Instrumental-Institution dürfen bislang keine Frauen spielen. Dafür wurden die Philharmoniker weltweit über elektronische Mail als hoffnungslos veraltet und männerbündisch beschimpft, ein Imageverlust, vor dem auch in der ehemaligen k.u.k. Metropole niemand länger die Augen verschließen kann. Jetzt verspricht das Eliteorchester, für Gleichberechtigung zu sorgen. Endgültig beschlossen wird darüber Mitte Februar.

In der Benachteiligung von Frauen schossen die Wiener Philharmoniker bisher den Vogel ab. Zwar ist weibliches Personal in vielen Orchestern rar gesät, doch der Frauenanteil von null Prozent ist ein anachronistischer Rekord. Seit der Gründung des Ensembles 1842 sitzen im Orchestergraben der Staatsoper ausschließlich Frackträger. „Im Idealfall repräsentierte der Mann die autonome, ,reine‘ Kunstmusik, während das Musizieren der Frau dem Familienleben diente“, schreibt die Musikpädagogin Freia Hoffmann. Schon 1783 wendet sich der Komponist Carl Ludwig Junker gegen das öffentliche Instrumentalspiel von Frauen, „weil es mit der anerkannten Schwäche des zweyten Geschlechtes gar in keiner Verbindung stehet“.

An diesen Argumenten hat sich bis heute nicht viel geändert. „Wir sind ein Spitzenorchester mit überdurchschnittlich hoher Belastung durch Proben und Konzerttourneen“, verkündet der Pressesprecher der Wiener Philharmoniker, Schuster, „das wollen wir Frauen nicht zumuten.“ Doch gerade hier liegen die Philharmoniker falsch. Elena Ostleitner, Musiksoziologin und Gleichstellungsbeauftragte der Wiener Musik- und Kunsthochschulen, fand heraus, daß es sich um einen Mythos handelt: „Zwar sind Zeit- und Klimaumstellungen nicht immer einfach zu verkraften, aber die Musiker wohnen in komfortablen Hotels, die zwischen den Arbeitsphasen mehr Entspannung bieten als das Familienleben zu Hause. Anstrengend sind eher die nächtlichen Gelage in Bars, die für männliche Orchestermitglieder offensichtlich zu einer Tournee gehören, während sich Frauen dabei eher zurückhalten – für sie kann eine Reise daher fast eine Erholung sein.“

Das letzte Argument der Frauengegner: „Wir befürchten Ausfallzeiten durch Schwangerschaft und nicht mehr ausreichende Beherrschung des Instruments nach der Mutterschaftspause“, faßt Koll vom Kultusministerium zusammen, das für die Vergabe der öffentlichen Mittel zuständig ist. Aber auch das sind leere Worte. „Es ist statistisch erwiesen, daß Frauen in prestigeträchtigen Positionen, zu denen ein Engagement bei den Wiener Philharmonikern gehört, ohnehin weniger Kinder haben und bald an den Arbeitsplatz zurückkehren. Außerdem wird eine Frau, die zehn bis 15 Jahre für ihre Ausbildung auf der Geige investiert hat, nicht einfach schwanger, sobald sie eine Orchesterstelle ergattert hat“, so Elena Ostleitner.

Lange Jahre hat sich in Wien die Politik nicht ernsthaft am Ausschluß der Frauen gestört. Noch im August 1996 verkündete der Orchestervorstand Werner Resel zur Beschäftigung von Frauen: „Ich glaube, daß das in zehn Jahren keine Frage mehr sein wird“ – und hatte dabei keine Angst, sich lächerlich zu machen. Doch um nicht weiterhin gegen das Diskriminierungsverbot des österreichischen Grundgesetzes zu verstoßen, will sich wenigstens der „öffentliche Teil“ der Philharmoniker, nämlich das Staatsopernorchester, dazu durchringen, auch Frauen zum Vorspielen einzuladen. Wer allerdings in die erlauchten Wiener Philharmoniker Einlaß finden will, muß sich drei Jahre lang im Staatsopernorchester bewähren.

Dem privaten Verein der Wiener Philharmoniker kann man mit demokratischem Druck nicht beikommen. Zwar hat das Kultusministerium dem Orchester seine Subventionen – ganz offiziell und unter Berufung auf das Grundgesetz – bereits im letzten Jahr gestrichen, doch den geringen Zuschuß von 2,5 Millionen öS (357.000DM) macht der Verein durch Plattenverkäufe und Tournee-Einnahmen mühelos wett.

Generell gilt: Je größer das Image eines Orchesters, desto geringer der Frauenanteil. Nicht ganz so kraß ist das Mißverhältnis zwischen Frauen und Männern bei den berühmten Berliner Philharmonikern. Schon Herbert von Karajan hat sich für einzelne Musikerinnen stark gemacht und dafür gesorgt, daß sie in „seinem“ Orchester Mitglied werden. Allerdings sind das bis heute keine zehn Frauen geworden. Nüchterner Kommentar von Elena Ostleitner: „Die Männer wollen den Geldkuchen nicht teilen und vergeben daher die Stellen lieber nicht an Kolleginnen.“

Die Wiener Philharmoniker duldeten bisher nicht einmal Alibi- frauen in ihren Reihen. Läßt es sich nicht vermeiden und muß auch an der Donau das klassische Fraueninstrument, die Harfe, mit einer Dame besetzt werden, so darf diese Frau trotzdem nicht Mitglied des Orchestervereins werden; und für Fototermine wird der Harfenist bestellt. Hat bei einer Fernsehübertragung eine Instrumentalistin Dienst, werden nur die gepflegten Frauenhände gefilmt, die die Saiten zupfen, aber, so eine Anweisung an den ORF, bitte nicht das weibliche Gesicht. Christina Zech