piwik no script img

„Welch hatte diesen Mafia-Blick“

■ Ein Gespräch mit Carl Weissner, der nicht nur Burroughs, Bukowski, Zappa und Dylan, sondern jetzt auch Denton Welch übersetzt hat, einen frühen Beatnik

Wann beschäftigten Sie sich zum erstenmal mit Denton Welch?

Carl Weissner: William S. Burroughs war fasziniert von der Idee, die hinter Welchs Literatur stand, und erwähnte in einem Interview, daß er ein Faible für ihn habe. Da wurde ich aufmerksam. Meine erste Lektüre muß Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre gewesen sein. Ich habe um Engländer ja immer einen großen Bogen gemacht und zum Beispiel eine Neuübersetzung von Orwells „1984“ abgelehnt. Denton Welch dagegen lag mir sofort, weil er einen völlig unenglischen Stil hat.

Was heißt das?

Ich kann das vielleicht mit Gegenbeispielen erklären. Es gibt englische Autoren wie Somerset Maugham oder Virginia Woolf, die ich lieber in einer ausgezeichneten deutschen Übersetzung lese, weil mir das englische Original zu sperrig ist. Welch dagegen spricht ähnlich wie Charles Bukowski Klartext, ist überzeugt von seiner Sicht und hält sich nicht mit Spekulationen auf, was in seiner Figur ansonsten noch so alles vorgehen könnte.

Was interessierte denn Burroughs an Welch?

Welch war der Homosexuelle, der seine Homosexualität für sich behielt und sehr sublim in seine Literatur einfließen ließ. Wichtiger aber war für Burroughs, daß Welch einen unverwechselbaren Stil hatte und als Kunststudent aus einer ganz anderen Richtung kam. Als Burroughs 1974 in die USA zurückkehrte und am City College in New York kreatives Schreiben unterrichtete, legte er seinen schwer zu motivierenden Studenten ans Herz, Welch zu lesen. Sie sollten lernen, wie man durch genaues Hinsehen und pointiertes Schreiben aus wenig viel machen kann.

Burroughs stand damals auf diversen Abschußlisten und hatte guten Kontakt zu einem alten Don der New Yorker Mafia. Der gab ihm den Rat, in jedem Menschen auf der Straße zuerst einmal einen potentiellen Killer zu sehen und ihn einzuordnen, bevor der andere ihn bemerkt. Welch hatte diesen Blick, obwohl er mit der Mafia nichts zu tun hatte.

Wie kam es zur Entdeckung Welchs für Deutschland?

Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich selbst gar nicht auf die Idee kam, mich um diesen vergessenen englischen Autor zu bemühen. Es war, wie so oft, Lutz Groth von 2001, der sofort den zuständigen Agenten in der Schweiz ausfindig machte. Dann suchte man Welchs Manuskripte in der Bibliothek seines Vaters.

Man weiß wenig von seinem Leben. Wissen Sie mehr?

Am meisten weiß man ja über seine letzten Jahre, als er an „Schicksal“ schrieb. Welch war ans Bett gefesselt und lebte mit einer Lehrerin zusammen, die gleichzeitig Lebensgefährtin und Krankenschwester war.

Burroughs bezeichnet Welch im Vorwort zu „Freuden der Jugend“ als Vorläufer der Beat- Generation. Ist da etwas dran?

Ja, schon. Burroughs hat in Welch zwar nicht einen rebellischen Typ wie etwa Marlon Brando in „The Wild One“ entdeckt, sondern eine Art Geistesverwandten, der durch die Mühle der englischen Internate gegangen ist und dabei mit seiner Homosexualität besondere Probleme hatte.

Burroughs war ja selbst in einem rustikalen Internat, das ausgerechnet in Los Alamos und in dem Gebäude untergebracht war, das vom Staat enteignet und zum Hauptquartier von Robert Oppenheimers „Manhattan-Projekt“ wurde. Ich glaube, Burroughs war fasziniert davon, daß Welch wie kaum ein anderer schon frühzeitig im Übergang von der Kindheit zur Jugend eine Selbständigkeit im Denken besaß, die seine Romanhelden auch haben und die sich gegenüber Erwachsenen als freundliche Duldung zeigt. Interview: Jürgen Berger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen