■ Vorschlag: Take me to the Matador! – Railroad Jerk und Chavez sind im Knaack
Ab und zu bekommt Marcellus Hall traurige Post. Die liest sich dann so: „Erwähne bitte meinen Namen ..., ich werde mich aufraffen und mich aus dem Dreck ziehen. Ich weiß, du kennst all die wichtigen Leute ... Ich werde was Gutes anziehen, mein bestes sauberes Hemd.“ Und schwupps hat er schon wieder einen neuen Song für Railroad Jerk, seine seit sieben Jahren existierende Band, zusammen. New Yorker Kaputtrock der allerersten Sorte, der frisch aus der Lower Eastside perlt und seit vier Alben vom Matador-Label unters Volk gebracht wird.
Selbst wenn Jon Spencers Blues Explosionen und die sonstigen Wiederbelebungen unkaputtbarer Musik inzwischen ein eigenes Regal füllen und nicht mehr jeder Ansatz von Garage, Heuschober und U-Bahntunnel-Gesang als Teil einer jugendlichen Gegenbewegung zu Techno und den dazugehörigen Modernisierungsphänomenen begrüßt werden kann – diese Jungs haben es drauf. Immerhin verbinden sie den Zorn städtischer Postpunkdepression aufs netteste mit dem parallel existierenden Blues der ruralen Randgebiete, ohne gleich dem Hardcore-Fundamentalismus von Doo Rag zu verfallen, der zwar nett anzuschauen, aber nur bedingt angenehm anzuhören ist. Schön schäbig poltert das Schlagzeug daher, leise rumpelt der Bass, und traurig seufzt die Gitarre, wenn nicht gerade die Bohrmaschine als Instrument herhalten muß, weil der Verstärker durchgebrannt ist.
Mit nöligem Gesang und der obligatorischen Mundharmonika versehen, ergibt das manchmal Dylan on Crack und mindestens einen Grund, noch einmal am Ort des kaum eine Woche zurückliegenden Auftritts von Granfaloon Bus nachzuprüfen, wohin die Reise in Sachen Indierock 1997 so gehen könnte.
Der andere Grund heißt weder Silkworm noch Spoon oder Svelt, hängt ebenfalls auf der Lower Eastside ab, ist ebenfalls bei Matador beheimatet und auch nicht von schlechten Eltern und als Teenage Riot zurück in der Stadt. Als hätten Chavez niemals das Debütalbum der wundervollen Eels gehört, das der neuen Empfindlichkeit jener zuspätgekommenen Generation von zornigen jungen Wimps eine zumindest popkompatible Stimme verlieh, rocken sie nach dem beachtlichen „Gone Glimmering“ auch auf ihrem zweiten Album „Ride the Fader“ ab, was das Zeug hält. Glücklicherweise, ohne jemals wirklich dem Hardrock klassischer Prägung auf die Spur zu kommen oder gar auf den Leim zu gehen. Da sind dann doch die melancholischen Zwischentöne vor, die sich immer wieder in sanfte Melodien mogeln. So bringen sie all das, was Grunge in seinen verschiedensten Ausläufern nie ganz ausformulieren konnte, sauber auf den Punkt. Versüßt mit kleinen Portionen Ultrakrach ergibt das durchaus einen Anlaß, zu überlegen, warum Chavez eigentlich nicht das nächste große Ding aus USA sein sollten. Gunnar Lützow
Railroad Jerk und Chavez, heute um 21 Uhr im Knaack Club, Greifswalder Straße 224
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