Mehr als nur Prestige

Heute beginnt in Oberhausen die Qualifikation für das olympische Eishockeyfestival in Japan  ■ Von Günter Klein

George Kingston ist Nordamerikaner und Akademiker. Will heißen, er ist politically correct, würde nie Schlechtes sagen über Minderheiten und Außenseiter. Als Professor für Sportgeschichte weiß er überdies, daß abfällige Äußerungen schon manche unangenehme Überraschung für die Favoriten provoziert haben. Also spricht Kingston auch von Eishockeyzwergen wie der Ukraine und der Schweiz, neben der Slowakei die deutschen Gegner beim Olympiaqualifikationsturnier in Oberhausen (von Donnerstag bis Sonntag), mit Hochachtung.

Die Ukraine? Sie ist lediglich in der Weltmeisterschaftsgruppe C angesiedelt, zwei Etagen unter Deutschland. Doch Bundestrainer Kingston warnt: „Etliche Ukrainer spielen in der höchsten russischen Liga, drei hatten Verträge in der Schweiz, einer wurde mit der UdSSR schon Weltmeister.“ Die Schweiz? Sie kam letztes Jahr aus der B-Gruppe nicht heraus, weil sie mental schwächelte, aber Kingston erkennt „eine Spielkultur, vielleicht sogar höher noch als die russische. Die Schweizer sind alle hervorragend ausgebildet.“ Von der Slowakei ist bekannt, daß Eishockey von höchster politischer Stelle gefördert wird. Der Erfolg ist von nationalem Interesse. Die Slowaken sind nachgewiesenermaßen gut, George Kingston braucht sie nicht verbal aufzuwerten.

Olympiaqualifikation, das ist ein neuer Wettbewerb, der für den Gigantismus im internationalen Eishockey steht. Seit dem Herbst 1995 wird darum gespielt, wer am Finalturnier im japanischen Nagano 1998 teilnehmen darf – ein Aufwand, der Fußballdimensionen erreicht.

Daß die Deutschen durch die Qualifikationsmühle müssen und nicht gesetzt sind, haben sie sich selbst zuzuschreiben. Bei der Weltmeisterschaft 1995 in Schweden versagten sie sportlich und verbandspolitisch. Die Mannschaft wurde Neunter, und wenige Tage später beschloß der Weltverband über die Köpfe der sprachlosen deutschen Funktionäre hinweg, daß diese Plazierung nachträglich zum Maßstab für die Olympia-Besetzung erhoben würde. Kanada, USA, Finnland, Schweden, Rußland und Tschechische Republik waren ohnehin gesetzt. Gastgeber Japan ebenso, Frankreich und Spanien als Siebter und Achter der WM 95 erhielten auch gleich die Tickets nach Nagano ausgestellt. Der Rest der Eishockeywelt ging in die langwierige Qualifikation. „Die kleinen Nationen haben alle dafür gestimmt. Klar, mit Prädikat Olympia schlagen die bei ihren NOKs natürlich leicht Zuschüsse frei, an die sie sonst nicht herankämen“, kritisierte Michael Pfuhl, der damals den Deutschen Eishockey-Bund (DEB) vertrat.

Die Deutschen hatten noch das Glück, daß sie – anders als die Schweiz, die sich zuerst noch mit Großbritannien, Dänemark, Slowenien und den Niederlanden auseinanderzusetzen hatte – erst zur zweiten und letzten Stufe der Qualifikation antreten müssen. Und sie bewarben sich frühzeitig um die Austragung des Turniers, um wenigstens Heimvorteil zu haben. Denn nach Nagano sollten sie schon fahren – und das ist mehr als Prestigesache.

Zwar gibt es, anders als bei Weltmeisterschaften, keine Antritts- oder Preisgelder. Doch sowohl der Verband DEB als auch die mit ihm verfeindete Deutsche Eishockey-Liga (DEL) sind höchst interessiert an der Olympiateilnahme. Denn das Turnier von Nagano soll „die Werbeveranstaltung des Eishockey werden, die zur Globalisierung unseres Sports beiträgt, ihn weltweit zur Nummer zwei macht“, wie sich Weltverbandspräsident René Fasel auszudrücken pflegt. Der Schweizer – Branchenbezeichnung „Napoleon“ – hat die Zusage der NHL eingeholt, die Mannschaften der großen sechs Nationen mit den Profis zu bestücken und zu „Dream Teams“ aufzuwerten. Der prominenteste Spieler, Wayne Gretzky von den New York Rangers, hat vergangenen Monat seine Zusage gegeben – womit der großen Eishockeyshow nichts mehr im Wege steht.

„Ein gutes Olympiaturnier hilft auch der DEL weiter“, glaubt der Marketingexperte Gerhard Schützner, der der Liga den millionenschweren Fernsehvertrag mit der Taurus-Gruppe besorgte, „das allgemeine Eishockeyinteresse wird steigen“. Klar, daß die Deutschen zu den 14 teilnehmenden Nationen gehören sollten. Daran hat auch die NHL, die sich in Nagano präsentiert, ein Interesse. „Neben dem skandinavischen Markt ist der deutsche der interessanteste“, sagt der NHL-Europabeauftragte Guido Tognoni. Ist ihr Team bei Olympia vertreten, sehen mehr Deutsche fern und werden auf die NHL aufmerksam, so lautet die Rechnung. Die letzten fünf Olympiateilnehmer werden nun ermittelt. Eine Gruppe spielt in der neuen Oberhausener Arena, die andere in der Besetzung Österreich, Norwegen, Weißrußland, Kasachstan in Innsbruck. Die beiden Ersten jeder Division haben es geschafft, die Dritten stehen sich am kommenden Dienstag in Duisburg gegenüber. Es dürfte nicht sonderlich schwer sein, sich zu qualifizieren.

Am Samstag ist spielfrei. Und obwohl da bereits zwei Runden absolviert sind und alles zugunsten der Deutschen gelaufen sein sollte, hat Bundestrainer George Kingston einen Flug nach Innsbruck gebucht, um die anderen Nationen im Hinblick auf ein Entscheidungsspiel zu beobachten. Unübersehbar: Der Mann ist Nordamerikaner und Akademiker.