In Horno braucht man gute Nerven

Die Lausitzer Braunkohle AG und Landeschef Stolpe wähnen das Sorbendorf schon in der Grube. Horno aber saniert seine Feldsteinkirche, vertraut auf Europa und hat die Ruhe weg  ■ Aus dem Bergbauschutzgebiet Detlef Krell

Schön wär's ja. Wenn die Bergarbeiter ihr Auskommen hätten in der Lausitz, ohne daß andere Menschen dafür Verlust erleiden müßten. „Wir können versuchen, der Gerechtigkeit Gottes Gehör zu verschaffen.“ Dagmar Wellenbrink-Dudat predigt diesen Sonntag morgen im Gemeindesaal des Hornoer Pfarrhauses. 60 Tage vor Ostern und fünf Tage nach dem Potsdamer Kabinettsbeschluß: Horno soll unter den Bagger. Das erwähnt die Pfarrerin erst am Ende des Gottesdienstes: „Inzwischen ist nicht nur das Gesetz beschlossen, wir haben auch begonnen, unsere Kirche zu sanieren. Wir zimmern ein neues Dach und nehmen richtige, schöne Kirchen- Biber. Die Denkmalpflege unterstützt uns.“

Während sich langsam die gute Stube der Kirchgemeinde leert, klimpert in der Kollekte das Kleingeld für Biberschwänze. Ostern will die Gemeinde in ihrer verjüngten Feldsteinkirche feiern. Nein, von der Landesregierung lassen sie sich nicht verrückt machen, die Hornoer, und von der Lausitzer Braunkohle AG, der Laubag, gleich gar nicht. Ärgern könnte sie sich über regionalen Medien, die „Originalton Laubag bringen und unsere Argumente verschweigen“, meint eine junge Frau. Kohlegegner seien die Hornoer nicht. Sie haben der Laubag ihre fruchtbaren Äcker und Wiesen verkauft, drüben, vor dem Hornoer Berg. Dort pflügen bald die Bagger. Quer in der Landschaft steht der Hornoer Berg, eine Endmoräne. Für die Dörfler markiert er die Schmerzgrenze. Bis dahin und nicht weiter.

Der Boden von Horno soll Restlöcher füllen

Werner Domain, ein stämmiger Mann um die 60, entnimmt bedächtig seiner Brieftasche einen Packen zusammengefalteter Zeitungsausschnitte. Horno hin, Horno her, Horno als Präzedenzfall für das sächsische Heuersdorf und für elf Ortschaften im Rheinland, die für Garzweiler II verschwinden sollen. Horno, 650 Jahre alt, macht Geschichte. Und Domain, dessen Familie seit Generationen in diesem Dorf lebt, sagt warum: 91 Prozent der Dorfbewohner haben bei einer anonymen Befragung im Mai 1996 für den Erhalt des Dorfs gestimmt. „Nur über meine Leiche“, so Domain, komme die Laubag an sein Haus, an seine Obstbäume, den Wiesenweg hinter dem Garten.

Unter Horno lagert in 80 bis 90 Meter Tiefe ein bestenfalls drei Meter dünnes Flöz. Die dicke Kohle steckt hinter dem Hof. Um an die heranzukommen, an 350 Millionen Tonnen, müssen die Bagger den Hornoer Berg weggraben. Die Erde, auf der Domains Apfelbäume wachsen, würde in Tagebaurestlöchern verschwinden und zur Befestigung von Böschungen verwendet werden. Dafür verkauft Landwirt Domain seinen Boden nicht.

„Das wird ein Drama“, weiß Seelsorgerin Wellenbrink. „Einige Ältere würden das nicht überleben.“ Doch der Kampf um Horno ist kein Kampf der Alten. JedeR zweite hier ist jünger als 35. „Wohl niemand hat erwartet, daß Horno 1997 noch so stark ist. Diese Leute hier sind wirklich phänomenal.“ Als die Pfarrstelle in Horno 1994 neu zu besetzen war, hat die Berlinerin Dagmar Wellenbrink sich beworben. Von der Gedächtniskirche ist sie in das kleine Pfarrhaus ins „Bergbauschutzgebiet“ gezogen. Wenn sie das Wort ausspricht, kann man die Anführungsstriche hören: „Bergbauschutzgebiet! Da wird ein Gebiet für den Bergbau geschützt. Vor seinen Bewohnern.“ Seit 17 Jahren keine Baugenehmigung, kein Flächennutzungsplan, kein Fördergeld, nichts.

Horno aber zeigt sich Besuchern wie Urlaub auf dem Lande. „Es ist mir nicht schwergefallen, mich hier einzuleben“, sagt die Pfarrerin. Den Hornoern werde vorgeworfen, sie seien stur. Aber nun: „Seit 20 Jahren wollte noch jede Regierung Horno weghaben. Wir wissen, daß die Stolpe-Regierung unter Druck stand. Diese Tagesaufgeregtheit müssen wir nicht teilen.“ Die Hornoer seien gut unterrichtet und gebrauchten differenzierte Argumente, „die immer gleiche platte Walze kommt von der anderen Seite“.

Und wenn nun einige Dorfbewohner doch an die Laubag verkaufen und gehen, sei das „in jedem Falle nachvollziehbar“: Wenn zum Beispiel eine 60jährige Frau zu ihren Kindern ziehen will. „Argwohn über den Gartenzaun gibt es deswegen nicht.“ 23 Hornoer – neun Prozent der abgegebenen Stimmen – haben bei der Umfrage im Mai ihr Einverständnis mit der Auflösung der Gemeinde erklärt. In Medienberichten fände man diese schlichte Tatsache heute als geheimnisvoll „bröckelnde Ablehnungsfront“ wieder.

Die Widerspenstigen sitzen beim Sonntagsbraten. Horno hält Mittagsruhe. Auf jedem Torpfosten sonnt sich eine Katze, auf dem Teich hinter der Kirche spielen Kinder Eishockey, und das nahe Kraftwerk Jänschwalde türmt bizarre Dampfwolken auf. Am Dorfkonsum kündigt der Kindergarten im Mitteilungskasten an, daß er „zampern“ komme. Ein sorbischer Fastnachtsbrauch, mit dem der Winter ausgetrieben wird. Zampern, auf sorbisch Zapust, beginnt mit einem Umzug in Trachten, dann werden von Haus zu Haus Lebensmittel und Geldspenden gesammelt für ein Dorffest. Kurse zum „Anziehen der sorbischen Festtagstracht“ bietet die Volkshochschule Cottbus an.

Im Dorfgasthof drückt Schankwirt Fuhrmann gelassen eine Schell Sieben in den Skat: „Stolpe wird sein Gesetz durchdrücken. Soll er. Wie lange er es mit dem Drücken aushält, ist eine andere Frage. So einen Schwindler habe ich nicht noch einmal erlebt.“ Feiern wollte Stolpe mit den Hornoern, wenn das Dorf bleibt. Das hat er versprochen, 1991. Hier in der Schänke. Wenn er jetzt noch einmal käme, sie „herzlich zu bitten“, wie neulich im Fernsehen, würden sie ihn wohl mit Tomaten begrüßen. Oder gar nicht.

Direkt unter Horno liegt gar keine Kohle

„Wenn das Potsdamer Verfassungsgericht nicht ein zweites Mal ja zu Horno sagt, gibt es ein Bundesverfassungsgericht. Wenn das nicht hilft, den Europäischen Gerichtshof.“ Europa, weiß Fuhrmann, „steht besser zu den Minderheiten als Deutschland. Womit ich ansprechen will, daß Horno ein sorbisches Dorf ist.“

Die vom Aussterben bedrohte und durch die Landesverfassung geschützte Kultur des kleinen slawischen Volkes der Sorben ist ein Argument, und die Skatrunde legt noch eins drauf: Unter Horno lagert gar keine Kohle. Die Laubag schließt Tagebaue in der Niederlausitz. Der Energiebedarf geht zurück. Und Kausche, meinen alle drei, Kausche, die Vorzeige-Umsiedlung der Laubag, sei mit Horno nicht zu vergleichen. 70 Prozent der Kauscher waren Mieter bei der Laubag und hätten jahrelang mitten im Kohlerevier auf die Umsiedlung gewartet. Die Hornoer leben auf eigenen Höfen in einem denkmalgeschützten Dorf. Schuldenfrei. Mit Kindergarten, Jugendklub und Freiwilliger Feuerwehr, Kirche und Kneipe.

Fuhrmann nimmt die Karten auf. Rot Hand, sagt er an. „Wer Hand hat, der hat allerhand“, brummen die Mitspieler. Horno hat allerhand in der Hand für die nächsten Runden. Horno hat Zeit. „91 Prozent der Hornoer haben sich für Hierbleiben entscheiden“, sagt Siegfried Fuhrmann: „Warum sollten wir das nicht durchstehen?“