008 wirft Nebelkerzen

Bernd Schmidbauer sucht in Moskau den Sündenbock für den Plutoniumdeal. Seine „Beweise“ hält er inzwischen selbst nicht mehr für überzeugend  ■ Von Holger Kulick

Bonn/München (taz) – Gute Geheimdienstler verstehen es, Gerüchte zu streuen. Auch Bernd Schmidbauer beherrscht das perfekt. Als der Bonner Geheimdienstkoordinator vor einer Woche im Plutonium-Ausschuß kaum durch kritische Fragen gefordert wurde, verkaufte er den Abgeordneten unwidersprochen einen alten Hut. Russische Geheimdienstler hätten den Plutoniumdeal vom 10. August 1994 vorangetrieben – nicht der BND. Mit „sehr geschickt gemachter Desinformation“ hätte die russische Seite später über Medien ihn und den BND zum Sündenbock gestempelt, ist sich Schmidbauer sicher. „Neueste BND-Erkenntnisse“ würden „Spekulationen bestätigen“, daß einer der verhafteten Täter sogar russischer Geheimdienstgeneral war. Damit erscheine jetzt alles in neuem Licht, beteten das BND- Hausblatt Focus und dpa nach.

Als Grundlage diente ein ominöses CIA-Papier, aus dem der Ausschuß nur in geheimer Sitzung Informationen erhielt. Erst die Süddeutsche Zeitung enttarnte die CIA-Quelle als unseriös. Und plötzlich rückte auch Schmidbauer wieder von der Wichtigkeit des Papiers ab. „Nicht wesentlich“ wären die Erkenntnisse, auch ohne die Details „sterben Sie nicht dumm“, sagte er am Dienstag im Plutonium-Ausschuß des Bayerischen Landtags. Kurzum: „Alles Nebelwerferei“, kommentierte Manfred Fleischer, der Ausschuß-Obmann der Grünen. „Damit soll von den eigentlichen Fragen nur abgelenkt werden.“ Selbst der CSU-Ausschußvorsitzende Manfred Weiß relativierte Schmidbauers CIA- Wissen: „Daß da irgendeine Gruppe oder Organisation dahintersteckte, war doch jedem klar.“ Nach Erkenntnissen der taz ist die russische Geheimdienstspur ohnehin nicht neu.

Schon bei den Ermittlungen im Münchener Strafverfahren gegen die Täter gab der BND-V-Mann „Rafa“ zu Protokoll: „Oroz war Hauptmannn, Torres war Kommandant beim Geheimdienst.“ Auch im Interview mit der taz und mit „Kennzeichen D“ behauptete Rafa, daß die Täter sogar in Anwesenheit der Scheinaufkäufer geprahlt hätten, vom ukrainischen Geheimdienst zu sein. „Sie teilten uns sogar ihre Dienstgrade mit.“ Auch der damalige Dezernatsleiter des bayrischen LKA, Sommer, hatte es damals abgelehnt, russische Sicherheitsbehörden einzuschalten, „da es mehrere Hinweise gab, daß russische Behörden an dem Plutoniumdeal aktiv beteiligt waren“, so ein BND-Protokoll.

Der damalige Verbindungsmann des BKA in Moskau, Bieling, kritisierte jedoch am Dienstag vor dem Münchener Ausschuß diese Scheu vor Zusammenarbeit mit russischen Ermittlungsbehörden. Die Zuverlässigkeit der russischen Ermittler sei groß und habe ihn bislang „begeistert“.

„Irgenwann“ könne es „durchaus gewesen sein“, daß er auch von den Moskau-Kontakten der Täter erfuhr, spielte Schmidbauer sein mögliches Mitwissen herunter, aber Moskau kam als Lagerort für ihn nie in Frage. Der Staatsminister bedauerte es auffallend häufig, daß der in Spanien einsitzende V-Mann „Roberto“ nicht vernommen werde; dieser war nur zu Anfang in die Affäre verstrickt. Ihn hält Schmidbauer offenbar für besonders glaubwürdig, obwohl Roberto gerade zu über neun Jahren Gefängnis verurteilt wurde – wegen eines Rauschgiftdeals. Schmidbauer bedauerte auch, daß der BND-Scheinaufkäufer Liesmann jetzt als „Dummer vom Volksfest“ übrig bleibe, weil ihn das Münchener Amtsgericht wegen Falschaussage im Prozeß gegen die Plutoniumschmuggler zu 9.000 DM Strafe verurteilt hat. Liesmann hatte über ein zentrales Tätertreffen am 25. 7. 1994 falsch berichtet, daß es „keine genauen Angaben“ gab, wo insgesamt 494 Gramm angebotenes Plutonium lagerten, „ob in München, Berlin oder anderswo“. Nachweislich war in dem Gespräch aber von „Moskau“ die Rede. Verblüffenderweise wußte Schmidbauer aus einer Lagebesprechung der Geheimdienste schon „drei, vier Wochen“ vorher über den Strafbefehl Bescheid. In dieser Zeit beschloß die CDU/FDP-Ausschußmehrheit, die Vernehmungen auszusetzen, um einen Zwischenbericht zu erstellen. So muß Liesmann hier vorläufig nicht aussagen.

Jetzt allerdings hat ihn der Münchener Ausschuß für den 25. Februar vorgeladen. Ob es aber zu einer Aussage kommt, ist „unklar“, deutete Schmidbauer an. Denn erst jetzt liefe ein Disziplinarverfahren gegen Liesmann an, das oft mehrere Jahre dauere. Außerdem wird zur Zeit geprüft, ob Liesmann als aktiver Scheinaufkäufer nicht wegen „Beihilfe zum Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz“ angeklagt werden könne, verlautete aus Bonn. Schmidbauer deutete an, daß im BND „darüber gesprochen wird“, Liesmanns Geldstrafe aus Fürsorgepflicht zu bezahlen. Diesen Anspruch erhebt seit einem halben Jahr auch der BND-V-Mann Rafa, der schon im April 1996 einen Strafbefehl wegen Falschaussage vor Gericht erhielt. Falsch ausgesagt habe er, aber „nur nach Willen des BND“, deshalb müßte er auch die Strafe bezahlen, teilte Rafa der taz schon vor längerem auf Nachfrage mit. Dann wäre er auch bereit, in München vor dem Ausschuß auszusagen, der nach wie vor auf ihn wartet.